Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
Straßen – Busse, Kleinwagen und dreirädrige Miniautos ohne Türen sausten vorbei. Die Winzlinge waren wohl die örtlichen Taxis, denn es gab Hunderte von ihnen. Außerdem waren da unzählige Motorräder, Fahrräder – und Fußgänger. Sogar Tiere waren zu sehen, die Karren voller Menschen und Güter zogen.
Ich hatte angenommen, dass wir auf der linken Straßenseite fahren würden, doch es schien keine klaren Regeln zu geben. Es gab sehr wenige Ampeln, Schilder oder Verkehrszeichen. Autos bogen einfach nach links oder rechts ab, sobald sich ihnen die Gelegenheit bot, und manchmal sogar dann, wenn es unmöglich schien. Einmal kam ein Wagen direkt auf uns zugeschossen und drehte erst in allerletzter Sekunde ab. Jedes Mal wenn ich vor Angst laut aufkeuchte, lachte mich mein Fahrer aus.
Allmählich gewöhnte ich mich an den Fahrstil, sodass ich die Sehenswürdigkeiten, die an uns vorbeirauschten, auf mich wirken lassen konnte. Mit Begeisterung erblickte ich unzählige farbenprächtige Märkte. Aus kleinen Gebäuden oder Ständen heraus verkauften leuchtend bunt gekleidete Händler Marionetten, Schmuck, Teppiche, Souvenirs, Gewürze, Nüsse und allerlei Obst und Gemüse.
Jeder hier schien irgendetwas zu verkaufen. Reklametafeln zeigten Werbung für Tarotkarten, Handlesen, exotische Tätowierungen, Piercings und Bodypainting mit Henna. Die ganze Stadt war eine wild wuselnde, pulsierende Ansammlung von Menschen, die jeden Quadratzentimeter in Beschlag nahmen.
Nach einer entsetzlichen Fahrt durch die geschäftige Innenstadt erreichten wir schließlich die Autobahn. Endlich konnte ich meinen verkrampften Griff ein wenig lockern – nicht etwa weil der Fahrer langsamer fuhr, ganz im Gegenteil, er flitzte nur noch schneller –, sondern weil der Verkehr stark abgenommen hatte. Ich wollte unseren Weg auf einer Karte nachverfolgen, was sich jedoch wegen des Mangels an Verkehrsschildern als schwierig herausstellte. Eines fiel mir allerdings auf. Der Fahrer verpasste eine wichtige Ausfahrt, die uns zum Tigerreservat geführt hätte.
»Hier entlang! Nach links!«, rief ich.
Achselzuckend und mit einer wegwerfenden Handbewegung tat er meinen Vorschlag ab. Ich fischte mein Wörterbuch heraus und schlug fieberhaft die Worte links oder falsche Richtung nach. Schließlich fand ich die Worte kharabi raha, was falsche Straße oder verkehrter Weg bedeutete. Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Straße vor uns und sagte: »Schnelle Straße.« Ich gab auf und ließ ihn gewähren. Immerhin war es sein Land. Vermutlich kannte er die Straßen besser als ich.
Nachdem wir etwa drei Stunden gefahren waren, machten wir in einer winzigen Stadt mit dem Namen Ramkola halt. Lediglich einen Laden, eine Tankstelle und fünf Häuser gab es in diesem Kaff. Aber es grenzte an den Dschungel, endlich sah ich ein Schild:
Der Fahrer stieg aus dem Lastwagen und tankte. Er zeigte zum Laden auf der anderen Seite der Straße und sagte: »Iss. Gutes Essen.«
Ich schnappte mir den Rucksack und ging zum hinteren Teil des Lasters, um nach Ren zu sehen. Er lag ausgestreckt auf dem Käfigboden. Als ich näher kam, blinzelte er und gähnte, verharrte ansonsten jedoch reglos.
Ich spazierte zu dem kleinen Laden und öffnete die abgeblätterte, quietschende Tür. Ein kleines Glöckchen kündigte mein Kommen an.
Eine Inderin in einem traditionellen Sari tauchte aus dem Hinterzimmer auf und lächelte mich an. » Namaste . Sie Essen mögen? Etwas essen?«
»Oh! Sie sprechen Englisch? Ja, ich würde liebend gern etwas zu Mittag essen.«
»Sie dort sitzen. Ich machen.«
Obwohl es für mich Mittagessen war, war es für sie wahrscheinlich Abendessen, denn die Sonne stand tief am Himmel. Sie deutete auf einen kleinen Tisch am Fenster, bevor sie verschwand. Der Laden war ein kleiner, rechteckiger Raum, in dem verschiedene Lebensmittel, Souvenirs von dem nahe gelegenen Reservat und praktische Dinge wie Streichhölzer und Werkzeuge untergebracht waren.
Indische Musik spielte leise im Hintergrund. Ich erkannte den Klang einer Sitar und das Klirren von Glöckchen, konnte die anderen Instrumente jedoch nicht einordnen. Ich warf einen Blick zu der Tür, hinter der das Klappern von Pfannen zu hören war. Dem Anschein nach nahm der Laden die Vorderseite eines größeren Gebäudes ein und die Familie lebte im hinteren Teil.
Überraschend schnell kehrte die Frau zurück, wobei sie vier Schüsseln mit Essen balancierte. Ein junges Mädchen folgte ihr auf den Fersen und
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