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Kuss mich kuss mich nicht

Kuss mich kuss mich nicht

Titel: Kuss mich kuss mich nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bird Jessica
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das Original anpassen, dass kein Mensch mehr sehen würde, was geschehen war.
    Aber das war nur ein schwacher Trost. Denn selbst wenn der Schaden meisterhaft verborgen würde, wäre das Porträt in Zukunft sicher nicht mal mehr die Hälfte wert.
    Plötzlich runzelte sie überrascht die Stirn. Sie blinzelte verwirrt und sagte sich, sie bilde sich wahrscheinlich etwas ein.
    Weil es einfach unmöglich war.
    Sie beugte sich so dicht über das Bild, dass ihr die Hitze der chemischen Reaktion die Tränen in die Augen trieb.
    Inmitten der Blasen, die die sich auflösende Farbe warf, erschienen die Umrisse … eines Gesichts.
    Sie rieb sich die Augen.
    Doch, es war tatsächlich so. Hinter der blassen cremefarbenen Spiegeloberfläche sah sie … ein Gesicht.
    Mit einem Mal dachte sie nicht mehr an das Ende ihrer Karriere, und ihr Herz klopfte aus einem völlig anderen Grund.
    Als sie das Läuten des Telefons vernahm, riss sie es in der Hoffnung, dass nicht bereits jemand anderes aus dem Haus an den Apparat gegangen wäre, eilig an ihr Ohr.
    Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie etwas so Herrliches gehört wie die kultivierte Stimme Gerard Beauvais’.
    »Oh Gott, ich habe es vermasselt«, platzte es aus ihr heraus. »Ich habe den Spiegel bearbeitet, dabei das falsche Lösungsmittel benutzt, dadurch einen Teil der Farbschicht aufgelöst und …«
    »Okay, okay, chérie. Immer schön der Reihe nach.«
    Irgendwie drang seine Stimme zu ihr durch, und sie atmete tief ein.
    »Also«, meinte er, als sie sich wieder halbwegs unter Kontrolle zu haben schien, »erzählen Sie mir ganz genau der Reihe nach, was geschehen ist. Und welche Bestandteile Ihr Lösungsmittel hat.«
    Sie erstattete Bericht und wartete mit angehaltenem Atem auf seine Reaktion.
    »Ich muss wissen, was darunter war. Unter dem Spiegel«, bat er ruhig.
    »Eine dunkle Gestalt«, flüsterte sie. »Die Konturen eines Kopfes, glaube ich.«
    Der Restaurator lachte leise auf. »Nun, vielleicht stellt sich Ihr Fehler noch als Glückstreffer heraus. Hat die Farbschicht auf dem Spiegel anders auf das Lösungsmittel reagiert als an anderen Stellen des Porträts?«
    »Das ist schwer zu sagen, denn zum Glück habe ich die anderen Stellen nicht ebenfalls verbrannt. Aber nein, ich glaube, nicht. Vielleicht ging die Lackschicht etwas leichter ab, doch das lag sicher einfach daran, dass das Lösungsmittel stärker war.«
    Beauvais schwieg einen Moment. »Ich muss das Bild mit eigenen Augen sehen. Aber lassen Sie es, wo es ist. Ich komme morgen bei Ihnen vorbei. Ich habe gerade Verwandtschaft zu Besuch und kann deshalb nicht weg. Erzählen Sie weder Jack noch seiner Mutter, was geschehen ist. Ich glaube, die beiden sollten erst etwas davon erfahren, wenn wir wissen, wie der Schaden am besten behoben werden kann. Wir sollten versuchen, sie nicht unnötig zu beunruhigen.«
    Callie atmete zitternd aus. »Gott, ich fühle mich entsetzlich. Jack wird mich hochkantig rauswerfen. Ich werde nie wieder …«
    Wieder stieß Beauvais ein leises Lachen aus. »Jack wird Sie ganz bestimmt nicht rauswerfen. Und, glauben Sie mir, Sie werden auch weiter als Restauratorin arbeiten. Wir sind alle nur Menschen, und es gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der nicht hin und wieder einen Fehler macht. Gemeinsam werden wir dieses Problem ganz sicher in den Griff bekommen, doch wir sollten dabei möglichst vorsichtig zu Werke gehen. Ich werde mich morgen bei Ihnen melden, und dann werden wir sehen, wie der Schaden am geschicktesten behoben werden kann.«
    »Wie kann ich Ihnen jemals danken?«
    »Ganz einfach«, meinte er.
    Sie stieß ein ersticktes Lachen aus, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie irgendwas zu bieten hatte, was für diesen Mann auch nur ansatzweise von Interesse war.
    »Wenn Sie beruflich erst mal fest im Sattel sitzen und ein jüngerer Kollege ein Problem mit seiner Arbeit hat, werden Sie für ihn einfach dasselbe tun wie ich heute für Sie. Ich selbst habe vor fünfundzwanzig Jahren einmal unverdünntes Terpentin auf einen Tizian gekippt.«
    Sie rang hörbar nach Luft, doch er fuhr fröhlich fort: »Es war einfach entsetzlich. Nachdem ich mich in den salle de bains zurückgezogen hatte, wo mir mein kurz zuvor genossenes Mittagessen auf höchst unangenehme Art wieder abhandenkam, bin ich wieder zurück an meinen Arbeitsplatz gegangen, habe meinem Mentor gebeichtet, was geschehen war, und wir beide haben das Problem gelöst. Das Gemälde hängt noch heute in den Uffizien, und immer,

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