Kusswechsel
Samstagabendessen mit meinen Eltern abhalten. Man erwartete, dass ich wie ein laichender Lachs an meinen Geburtsort zurückkehrte. Nur legte ich mich anschließend nicht zum Sterben nieder, auch wenn mir manchmal danach war, und diese Migration erfolgte allwöchentlich.
»Ich muss mal ein paar Takte mit Stephanie reden«, sagte Morelli und gab sich redlich Mühe, sein freundlichstes Lächeln dabei aufzusetzen, die Hand an meinem Hals, die Finger im Kragen meines Hemdes verkrallt, um jeden Gedanken an Flucht zu verhindern.
»Ach je, wir hatten gerade etwas Wichtiges vor«, sagte ich.
»Kann das nicht warten?«
»Leider nicht«, sagte Morelli. »Wir müssen unbedingt
jetzt
miteinander reden.«
Ich trottete hinter ihm her zu seinem Wagen, wo wir mit dem Rücken zu Lula und Grandma stehen blieben. Sie sollten uns nicht belauschen.
»Habe ich dich endlich!«, sagte Morelli.
»Und was jetzt?«
»Jetzt bringe ich dich zu mir nach Hause und sperre dich ins Badezimmer ein. Und wenn du ganz lieb bist, stelle ich dir auch den Fernseher dazu.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Mit dem Fernseher? Du hast Recht. Ich habe nur einen, und den die Treppe raufzuschleppen, dazu habe ich keinen Bock.«
Ich sah ihn nur an, nach dem Motto:
Hör auf zu spinnen.
»Auf dich ist ein Auftragskiller angesetzt«, sagte Morelli, »und du läufst hier herum wie eine lebende Zielscheibe. Eine tote Freundin nützt mir herzlich wenig.«
Wenigstens betrachtete er mich immer noch als Freundin.
»Ich hatte gehofft, das mit dem Auftragskiller ist ein Gerücht.«
»Mein Informant hat mir gesagt, ein Mann aus Los Angeles würde sich in der Stadt aufhalten, allgemein nur der Junkman genannt. Man glaubt, die Slayers hätten ihn eingeflogen, damit er dich ausschaltet. Nach allen Berichten soll es sich um einen ziemlich üblen Typen handeln. Es wird viel über ihn geredet, aber praktisch verfügen wir über keine brauchbaren Informationen. Wir haben nicht mal eine genaue Beschreibung des Mannes.«
»Woher weißt du dann, dass es ihn wirklich gibt?«
»Die Quelle ist zuverlässig. Die Gangbrüder draußen haben Schiss. Und nur, damit du dir nicht als was Besonderes vorkommst: Anscheinend bist du nicht der Einzige auf seiner Liste. Es heißt, ein Polizist und zwei feindliche Gangmitglieder stehen noch auf seiner Abschussliste.«
»Wer ist der Polizist?«
»Ein V-Mann für Jugendgangs. Wir kennen seinen Namen nicht.«
»Wirklich ganz lieb von dir, dass du mich in dein Badezimmer sperren willst, aber es passt mir gerade nicht in den Kram. Und als ich das letzte Mal bei dir war, hatten wir genau deswegen einen Riesenstreit.«
Morelli fuhr mit einem Finger den Saum meines T-Shirts entlang. »Zunächst einmal war das kein Riesenstreit. In meiner Familie ist ein Riesenstreit mit einstweiligen Verfügungen und Blutvergießen verbunden. Zweitens gefällt mir dein kleines weißes T-Shirt.« Er hakte sich mit einem Finger in den Ausschnitt und spähte hinein.
»Was soll das?«, fragte ich.
»Nur mal gucken, ob noch alles da ist«, sagte er und sein Lachen wurde breiter.
»Hast du wirklich vor, mich in dein Badezimmer einzusperren?«
»Und ob.«
»Das könnte man als Entführung auslegen.«
»Dann stünde dein Wort gegen meins.«
»Außerdem ist es arrogant und machomäßig.«
»Ja«, sagte Morelli. »Das ist ja das Beste an der Idee.«
Ich sah hinter mir zu Grandma und Lula. »Und wie willst du das erreichen?«
»Ich habe mir gedacht, ich zerre dich in mein Auto und fahre dich zu mir nach Hause – auch wenn du dich mit Händen und Füßen wehrst.«
»Vor Grandma und Lula?«
»Nein«, sagte Morelli. »Vor deiner Oma kann ich das natürlich nicht machen.« Sein Lachen erstarb. »Können wir uns nicht mal ernsthaft miteinander unterhalten? Das mit dem Killer ist nicht nur ein Gerücht. Diese Kerle sind hinter dir her.«
»Was soll ich machen? Ich wohne hier. Ich kann mich nicht für den Rest meines Lebens verstecken.«
Morellis Pager summte los, und er las das Display. »Ich hasse diese Dinger«, sagte er. »Bist du auch bestimmt vorsichtig?«
»Ja.«
»Du zeigst dich nicht auf offener Straße?«
»Nein.«
Er drückte mir einen saftigen Kuss auf die Stirn und machte sich auf den Weg.
Grandma und Lula sahen Morelli hinterher.
»Eigentlich mag ich Bullen ja nicht«, sagte Lula. »Aber der hier ist eine heiße Nummer.«
»Er sieht verdammt gut aus, das stimmt«, sagte Grandma.
»Und er hat so eine gewisse Art an sich. Es geht doch
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