Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
Hand aus. »Und außerdem ist das mein Lied.«
    »Vergiß deinen Paß nicht, wenn du rausgehst!« sagt Michael zu ihm. »Wenn ihr noch etwas Zeit habt, zeig ich euch die ganze Anlage«, sagt er zu uns gewandt. »Sie liegt noch zwei Stockwerke unter uns. Ich muß nachher nur den Schlüssel für die unteren Schotte holen.«
    »Ja kann denn da jeder rein?«
    Gert deutet auf seine Schachtel Zigaretten.
    Michael schüttelt den Kopf.
    »Es ist zwar verboten, da unten reinzugehen, Geheimhaltung, angeblich, ich zeige es aber allen, die hier zu uns hereinkommen. Diesen Wahnsinn müssen einfach soviel Menschen wie möglich gesehen haben!«
    »Ja kann denn hier nachher nicht jeder rein, der oben in der Bahnhofshalle ist?«
    »Träumst du, Beate? Für die Plätze da unten gibt es doch schon lange extra Pässe.«
    »Für die Oberen Zehntausend«, fügt Gert hinzu.
    Beate nickt.
    »Vielleicht gar nicht schlecht, sollen doch die, die solch einen Wahnsinn propagieren, ruhig sehen, wie sie nachher in einer total radioaktiv verseuchten Welt überleben.«
    »Die wiegen sich wohl in der Sicherheit, daß hier unten, sollte es einmal losgehen, noch stundenlang die Schotten offen stehen.«
    »Geht doch gar nicht, die Schotten schließen sich im Gefahrenfall automatisch.«
    Michael fährt sich mit der rechten Hand durch den Bart.
    »Als erstes bringen sich sowieso die Ordnungskräfte in Sicherheit, die für die schnelle Evakuierung verantwortlich sein werden. Die bleiben bestimmt nicht draußen vor den Schotten, wenn’s erst mal richtig losgeht.«
    Ich ergreife Beates Hand.
    »Und die Bevölkerung, die vom Bahnhof oben nach unten drängt? Oder meint ihr vielleicht, die warten während des Alarms, wie die Schafe vor der Schlachtbank?«
    »Die wird über den Haufen geschossen!«
     
    Hinab in die Tiefe.
    Vor einer hohen grauen Stahltür bleiben wir stehen. Rechts neben dem Tor ein kleines Kästchen an der Wand. Michael schiebt den Magnetschlüssel in den Schalter.
    Fauchend öffnet sich das Tor.
    Vor unseren Augen, gespenstisch in fahlem, phosphoreszierendem Leuchten, eine Welt des Schweigens, geronnen in Beton, Stahl und Plastik, das Herz des Bunkers.
    Letzter Zufluchtsort vor dem lautlosen strahlenden Leichentuch, das die Welt des Lebendigen nach dem Tanz der Sonnen in Menschenhand bedecken wird, dem Vorhang, der über der Bühne der Menschheitsgeschichte niedergehen wird.
    Wir gehen hinein in die letzte Kathedrale des Fortschritts, nur zwingen hier breite phosphoreszierende Leuchtstreifen den Blick nicht in die Höhe sondern horizontal in die Ferne. Vorraum des zukünftigen Homo Cavensis, der in nicht allzuferner Zukunft wieder in den Höhlen der Nachtzeit von den Reliquien einer unverständlichen, höllischen Vergangenheit leben wird.
    Ich spüre Beates Hand in meiner geschlossenen Faust.
    Sie zittert.
    »Ich muß raus aus diesem klaustrophobischen Wahnsinn. Lieber würde ich oben krepieren, als hier unten wochen- und monatelang bei lebendigem Leib begraben zu sein.«
    Gert blickt erschrocken zum Eingang zurück.
    »Michael, und wenn der Bahnhof über dem Eingang zusammenstürzt?«
    »Gibt’s ganz hinten noch einen Notausgang, der oben zwischen den Gleisen ins Freie mündet.«
    Unsere Schritte verlieren sich zwischen endlosen Bettengalerien, Regalwänden ähnlich, die erst in fünf Metern Höhe unter der Stahlbetondecke enden, alle achtzig Zentimeter eine schmale Pritsche. Die oberen nur über lange Leitern erreichbar.
    Die großen Waschräume sind vollständig gefliest.
    In der sterilen, neonlichtbläulichen Atmosphäre Visionen von verbrannten Gliedmaßen, geschwollenen Gesichtern, blasig weißen Schaum auf den Lippen.
    Im Generatorraum und in der Brunnenstube die Maschinen, gewaltig, geballte Kraft.
    Sie sind noch still, kein Zittern erfüllt den Raum, kein einziges Staubpartikelchen vibriert in der Luft der noch sterilen Räume.
    Auch das Depot, in dem die in Plastiksäcken eingeschweißten Leichen zwischengelagert werden sollen, lassen wir so schnell wie möglich hinter uns.
    Wir beschleunigen unsere Schritte, als lägen uns schon die kreischenden Stimmen der Tausenden und Abertausenden von Menschen im Ohr, die auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Agonie einen Moment lang innehalten, bevor der unwiderrufliche Sturz in die Tiefe beginnt.
    Michael legt den Arm um Beate.
    »Und das hier unten ist nicht das Schlimmste. Was würde uns erst erwarten, wenn sich die Schotten wieder öffnen?«
     
    DIE NACHT: Brüllend erwachen die

Weitere Kostenlose Bücher