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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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vollkommener, mächtiger, gebildeter.«
    »Also so weit ist es gekommen?« flüsterte er mit unverhohlenem Grauen. »Du sagst vielleicht: schöner und glücklicher?«
    »Ich sage es nicht, Rost. Ich bin tief überzeugt, daß jede Epoche ihr spezifisches Ideal der Schönheit und des Glücks besitzt. Historisch unvergleichbar.«
    Er blickte sie aufmerksam an. Was war mit Helia los? Sie ist fast wie immer: nüchtern, klar und logisch urteilend. Dann wieder phantasiert sie wie im Fieber. Soll auch ihnen dasselbe zustoßen?
    »Was war später? Sprich weiter, Helia!« sagte die sonderbar ruhige Stimme Mias. »Du bist also diesem Licht gefolgt?«
    »Dann … erlosch das Licht. Ich war von Helligkeit umgeben. Ich befand mich in irgendeinem Gebäude. Vor mir erstreckte sich ein beleuchteter Korridor. Mit niedrigem Gewölbe. Sobald ich aber den Korridor betrat, wurde er geräumiger. Ich schritt langsam aus, doch die Wände schienen irgendwie schneller hinter mich zu gelangen. Gleichzeitig war ich mir sicher, daß ich in die Höhe stieg. Dann der Nebel. Ich wußte damals nicht, daß es sich um Kraftfelder handelte. Ich vermutete sogar, ich träumte. Dann ein Saal. Ohne Decke. Ich sah hoch am Himmel die Sterne und den Mond. Die gleichen Sterne und der gleiche Mond wie auf der Lichtung. An den Wänden glänzten bunte Funken.«
    Rost hörte zu und spürte, wie in ihm Zorn auf Helia hochstieg, daß sie alles so unpersönlich, so trocken und in einem Tonfall ohne jede gefühlsmäßige Betroffenheit herunterleierte. Die Erzählung schien sich in die Länge zu ziehen, verwässert zu werden, ohne etwas zu dem beizutragen, was er aus seinen eigenen, nur ein paar Minuten dauernden Erfahrungen kannte. Helia kreiste im Labyrinth der Säle und Korridore, die vielleicht gar keine Säle und Korridore waren. Sie sah irgendwelche Gebilde, Maschinen, deren Bestimmung oder auch Form sie nicht bezeichnen konnte. Irgendwelche Flüssigkeiten und in durchsichtigen Behältern und Leitungen pulsierende Gase. Unbewegliche, in dem Prozeß plötzlicher Umwandlung erstarrte Lebewesen oder Maschinen, zwischen denen sich in den Hunderten von Jahren der Entwicklung die Grenze verloren hatte.
     
    In diesen zwei Tagen schlief Helia und erholte sich auch ein wenig. Etwa drei Stunden lang. Sie verspürte weder Hunger noch Durst, und auch andere physiologische Funktionen schwanden deutlich. Sie lieferte kaum konkrete, wissenschaftlich begründete Schlüsse oder Hypothesen in bezug auf die beobachteten Erscheinungen. Zu den Ausnahmen gehörte die Entdeckung einer Korrelation zwischen Gedankengang und Veränderung von Form und Farbe der vermeintlichen dekorativen Elemente. Berechtigte das aber zu der Feststellung, daß diese dynamischen Abstraktionen tatsächlich die Widerspiegelung ihrer Gehirnvorgänge waren? Zu viele Urteile schwebten im leeren Raum und waren durch keinerlei konkreten Beweis gestützt, so daß sie Rost kaum für wahr halten konnte.
    Helia war sich dessen übrigens bewußt. Sie war überzeugt, daß das, was sie sagte, Tatsachen waren, aber sie konnte die Quelle dieser Überzeugung nicht angeben. Es stand außer Zweifel, daß sich in diesen vielen Stunden ihr Gehirn unter dem übermächtigen Einfluß der Kräfte befand, die diesen Planeten beherrschten. Was waren das für Wesen, die die Erde regierten? Wie sahen sie aus? Das ließ sich der Erzählung Helias nicht entnehmen. Doch gewiß: Sie hatte von Menschen gesprochen. Über sonderbare menschliche Wesen, die Rost, Helia und Mia ganz unähnlich waren. Sie hatte sie auf ihren Wanderungen mehrmals getroffen. Sie waren meist in Trance versunken oder schlummerten, einmal waren sie mit etwas beschäftigt, was nach einem Tanz aussah.
    Helia behauptete, daß gerade sie die Gastgeber auf der Erde waren. Doch Rost vermutete, daß ihr dieser Gedanke nur aufgezwungen wurde, ohne daß sich der einst nüchterne Verstand der Wissenschaftlerin dagegen auflehnen konnte.
    Sie konnte kein vernünftiges Argument anführen, das ihre Behauptung gestützt hätte. Konnte man denn das subjektive Gefühl, daß sie bei Anwesenheit dieser Wesen schneller und leichter die Zusammenhänge zwischen den Wundererscheinungen herausfand, daß sie die Umwelt irgendwie tiefer und einsichtsvoller betrachtete, so daß diese ihre beunruhigende Fremdheit verlor und die Kluft der dreihundertachtzig Jahrhunderte zusammenschrumpfte, als solches Argument gelten lassen?
    Was hatte das zu bedeuten? Wenn in dem allen, was sie sagte, wenigstens

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