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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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ging, dem konnte nichts Böses mehr angetan werden. Fiel er, so kam er zu Ihm ins Paradies eher als die anderen. Blieb er aus Seiner Barmherzigkeit am Leben, so war ihm die Gnade des Blickes auf diese Stadt gegeben worden.
    Jerusalem! Jerusalem!
    Ach, wie arm es war gegen Konstantinopel, gegen Nicäa, gegen Antiochia. Wie klein und wie verloren. Aber gerade das vergrößerte den Wert dieser Heiligen Stadt in ihren Augen. Denn dieses Jerusalem ähnelte ihnen, den Armen aus dem Land des Abends.
    Jetzt sind sie da, unwiderruflich da, entschlossen das Gottesgrab zu erobern, es von der ekelhaften Gegenwart der Ungläubigen zu befreien, der letzten Prüfung sich zu unterwerfen, der höchsten.
    Denn von Einem waren sie von Anfang bis zum Ende dieser elendesten, herrlichsten, grausamsten und schönsten Reise überzeugt:
    Gott will es!
     
    »Sie ahnen gar nicht, daß dies der schönste Augenblick ihres im Grunde genommen puren Raubzuges ist. Denn ihr Ziel haben sie erreicht, aber sie wurden noch nicht geschlagen, vertrieben, verjagt, gemetzelt, niedergemacht, erschlagen, beziehungsweise in die Sklaverei verkauft«, sagte Wvf 47, der Untermanipulator und Historiker. Er lächelte leicht, als er den über den Bildschirm gebeugten Techniker sah. »Hören Sie überhaupt«, fragte er belustigt, »was ich sage?«
    »Nein«, antwortete knurrig QiQ 51, »ich habe dazu keine Zeit. Ich suche Ihn. Aber Er ist nicht hier. Falls Er überhaupt kommt, so sicher später, oder …« – er lachte auf – »in einer ganz anderen historischen Ära.«
    »Die Auswertung der Prognoseaugenblicke irrt sich nie!« brauste der Historiker auf. »Dieses Grunddogma der Manipulation wird wohl auch auf den Technoschulen hoffentlich gelernt!«
    Einen Moment lang herrschte Stille im intergalaktischen Raum-Zeit-Schiff. Dann begehrte der Techniker verbittert auf: »Sie werden wohl recht haben. Es wird wohl der verflucht schönste Augenblick dieser ungewaschenen, ungekämmten und blöden Abendländer sein. Aber ganz sicher ist das der ekelhafteste und widerlichste Augenblick meines Lebens. Vor zwei Tagen habe ich nämlich geheiratet. Einen Tag nach der Hochzeit wurde ich aus dem Bett geholt, Ihnen zugeteilt, hier zu der verdammten Dritten!« Er schnaubte wütend.
    Die Haut beider, des Historikers und des Technikers, war mattgolden, die Augen violett, aber sonst ähnelten sie den Wesen tief unter ihnen, die soeben das Jerusalem ihrer Träume erreicht haben. Sie sahen aus wie Menschen. Der Historiker wie der Techniker stellten die Bestätigung der Tatsache dar, daß die Entstehung und der Verlauf des Lebens im ganzen All dieselben Gesetze hat, und die Entwicklung intelligenter Wesen diesen Gesetzen unterworfen ist und notwendig im allgemein kongruenten und fast identisch aussehenden Bild beendet werden muß: im Bild des Menschen.
    »Überprüfen Sie das noch einmal«, befahl der Historiker, dann fügte er einigermaßen entschuldigend hinzu: »Natürlich vertraue ich Ihnen. Sie waren mir doch empfohlen, als bester Techniker des Raum-Zeit-Kreises. Aber es ist nun eben mal Vorschrift.«
    Der Techniker lachte sarkastisch und machte sich an die Arbeit.
    »Ich bin etwas nervös.« Der Historiker biß sich auf die Lippe. »Aber Sie wissen so gut wie ich: Wenn wir Ihn verpassen, erwartet uns das Nichts.«
     
    Die Sonne ging unter, die Dächer der Heiligen erglänzten, und aus den Minaretten des muslimischen Jerusalem klang der langgezogene Singsang des Muezzins, daß Allah Allah sei, und Mohammed sein Prophet.
    Alle erwachten plötzlich aus ihrem betäubenden Traum. Es verschwand der freudige Augenblick des Glücks. Was? Sie sind doch hier, sie kamen hierher, sie stehen hier – und da drüben heulen die Heiden ihre hündischen Gebete! Die Lanzen hoben sich, die Schwerter blitzten. Einer begann laut die Worte des Gebetes »Engel des Herrn« zu schreien, die anderen fielen ein. Das Tal hallte davon wider.
    Kaum war der Gesang verklungen, stürzte die ganze bewaffnete Masse rasend gegen die hohe und gewaltige Mauer. Es schien, als ob sie die mit bloßen Händen zerschlagen, das Gemäuer mit eigenen Zähnen zerbeißen und mit ihren Füßen alles zertrampeln wollten, was ihnen im Wege stand.
    Tausende Pfeile, Stücke brennenden Pechs flogen auf die Angreifer. Aber die, blind und taub gegen Schmerz und Gefahr, drangen über Berge von Gefallenen weiter vor, zogen sich an den Vorsprüngen des Mauerwerkes hinauf.
    Sie starben. Ihre Leichen lagen zuhauf im Graben aufgeschichtet.

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