L wie Liquidator
Der wilde und schlecht vorbereitete Angriff endete so, wie er enden mußte. Über fünftausend Gefallene liegen unter der Zinne der Mauer, die anderen fliehen verwirrt aus der Reichweite der Pfeile, Steine, brennenden Pechschleier und der Flammenstrahlen dieser heidnischen Teufelswaffe – des griechischen Feuers.
Erst die Dunkelheit hemmte die verzweifelte Flucht. Die Überlebenden tappten durch die Nacht. Die Ritter und Knechte versuchten mit Hieben, Schlägen und Flüchen die scheu gewordenen Horden zu ordnen und zu wenden. Leicht war es nicht.
Gottfried von Bouillon, der Oberbefehlshaber der Kreuzwallfahrt, sah mit großen Befürchtungen nach Jerusalem hinüber. Wäre er Iftikar, der Kommandeur dieser belagerten Stadt, würde er nicht zögern. Er würde mit allen Streitkräften aus allen Toren hervorbrechen und das Werk der Vernichtung, der Verwirrung und der verzweifelten Flucht mit einem kräftigen Schlag krönen.
Der überschäumende Hochmut war verschwunden. Ernüchterung und Niedergeschlagenheit beherrschte sie alle. Es bot sich nur eine einzige mögliche Erklärung an: Gott wollte es nicht, daß sie Sein Grab befreiten. Gott hatte sie verlassen.
Es genügte ein Wort der Kleinmut und Angst, eine einzige Parole der Verzweifelten, ein ›Verrat! Rette sich, wer kann!‹, und die ganze große Kreuzwallfahrt wäre beendet.
Aber niemand schrie es. Sie waren viel zu müde dazu.
Iftikars Soldaten entzündeten Lagerfeuer an der Mauer und spähten mißtrauisch in die Finsternis. Was planen diese Söhne Satans, diese Nachkömmlinge des Iblis? Beim Bart des Propheten, die Nachrichten von diesen lateinischen Ungläubigen logen nicht! Der wilde Angriff des heutigen Nachmittags füllte die Herzen der Muslimen mit widerwilliger Hochachtung. Die Tapferkeit der Franken ist der der Rechtgläubigen ebenbürtig. Wären sie heute über die Mauer gedrungen – es ist schrecklich, nur daran zu denken! –, dann hätte diese Iblissöhne nichts mehr aufhalten können.
Der Techniker bestrich mit der Nachtkamera die Umgebung und pfiff durch die Zähne. Der Historiker sah ihm bang dabei zu. Die Abendländer saßen in kleinen Gruppen um die Lagerfeuer, oder lagen regungslos dort, wo Müdigkeit, Erschöpfung und vor allem Enttäuschung sie niedergeworfen hatten.
»Ich wiederhole«, sagte QiQ 51 mit einer Andeutung von Zögern in der Stimme, »er ist weder unter den Lebenden noch unter den Toten. Ist nicht vielleicht in der Sektion ein kleines Versehen geschehen? Denn Er ist nicht da. Er kommt hier überhaupt nicht vor!«
»Nein, nein, nein!« schrie der Historiker mehr ängstlich als beleidigend, der sonst so ein Sakrileg auf der Stelle bestraft hätte. »Keine Nachlässigkeit, kein Fehler, kein Irrtum – das ist ausgeschlossen. Wir wissen ganz genau, daß Er hier erscheinen muß, daß Er von irgendwo auftauchen muß. Und unser Befehl ist klar – wir müssen Ihn um jeden Preis retten!«
Der Techniker beugte den Kopf, um des Historikers Blick auszuweichen, und sagte heiser:
»Wenn wir den Verteidigern etwas helfen würden, nur ein bißchen, dann würden die Kreuzfahrer etwas früher die Flucht ergreifen, und Er hätte keinen Grund hierherzukommen, so irgendwie …« – er begann zu stottern, als der Historiker ihn anstarrte, »und infolgedessen würde Ihm nichts passieren, und wir könnten …«
»Nach Hause zurückfliegen!« beendete der Historiker des Technikers sehnsüchtige Vision. »Das darf nicht wahr sein, was ich hier höre! Zuerst beleidigen Sie die Institutionen und verdächtigen sie der Nachlässigkeit, und jetzt schlagen Sie mir sogar einen Verstoß gegen das Gesetz über Einmischung in die historische Entwicklung vor – und das alles, weil sich die Unterbrechung Ihrer Flitterwochen verzögert um … um …«
»Um wieviel?« fragte der Techniker plötzlich lebhaft interessiert.
Der Historiker blickte mißmutig auf den Bildschirm.
»So um zwei Monate«, gab er widerwillig zu. »Aber länger wird es sicher nicht sein. Sie haben kein Wasser, kein Baumaterial, um Belagerungstürme zu bauen, sie sind undiszipliniert, zurückgeblieben und primitiv. Zwei Monate, schätze ich, dann sind sie am Ende.«
»Zwei Monate!« murrte der Techniker und fuhr scheinheilig fort: »Da wird schon im Ezgrum die Jagdsaison vorbei sein, nicht wahr? Und die Schonzeit der Huffs dauert, falls ich mich nicht irre, ziemlich lange. Wie lange eigentlich?«
Die Augen des Historikers blitzten zornig. »Techniker QiQ 51!« brüllte er
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