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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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oder?«
    Der Wanst hat zugehört. Jetzt nickt er, widerwillig. »Tja, da haste wohl was Richtiges gesagt.« Dann schaut er mich an. »Aber ich warn dich, Kleiner. Weil, bleibste nämlich noch mal so stehen, dann kann es sein, daß du schuld bist, wenn wir alle weggeputzt werden. Dein Freund da, der könnte jetzt wegen dir schon tot sein, weißte!«
    Ich bringe ein schwaches Lächeln zustande. Zu mehr reicht es nicht. Sie verzeihen mir also. Wie verdammt beschissen großmütig von ihnen! Und natürlich habe ich das nur Stancato zu verdanken. So was macht er unheimlich gern mit mir. Er weiß, daß ich ihn absolut nicht riechen kann, und er weiß, wie es mich nervt, wenn ich ihm für irgendwas dankbar sein muß. Dieser Scheißkerl, es reicht ihm nicht, daß er mich die ganze Zeit immer wieder bloßstellt, so daß ich mir wie ein Trottel vorkommen muß, er will außerdem auch noch, daß ich ein dankbarer Trottel bin, der glücklich ist über das Interesse, das er dem armen kleinen Doofie schenkt. Oh, Scheiße. Scheiße! Scheiße!
    Jetzt hängt der ganze Wald voll Dunkelheit. Die anderen haben ihre Nachtvisiere heruntergeklappt. Auch ich zieh meins über die Augen, und die Bäume verwandeln sich auf einmal in kantige schwarze Schattenrisse vor einem rötlichen Hintergrund. Man sieht nur die Äste. Aus irgendeinem Grund sind die Nadeln unsichtbar. Ich schaudere plötzlich, oder vielleicht zittere ich auch nur ein wenig. Der Wald hat sich in eine düstere Hölle verwandelt, die voller holzkohleschwarzer Skelette und halbsichtbarer Schatten steckt. Eigentlich war mir die Finsternis lieber, denke ich. Aber ich lasse das Visier unten.
    Wir ziehen weiter, der Wanst an der Spitze, wir anderen in einigem Abstand im Gänsemarsch hinterdrein. Ich habe keine Ahnung, wohin wir gehen, und warum. Aber es ist mir auch egal. Ich will das da nur hinter mich bringen. Jetzt sind es nur noch vier, fünf Stunden bis Mitternacht. Dann nochmal ein Tag, und wieder bis Mitternacht – und das Wochenende ist vorbei. Ich habe bis jetzt durchgehalten. Vielleicht krieg ich es auch noch bis zum Schluß hin.
    Aber am nächsten Wochenende spiele ich wieder Tennis. Ich brauch das hier nicht. Vielleicht hat Stancato so was nötig. Aber der ist ja auch pervers. Ich nicht. Bei so was steigt Birch aus.
    Ja. Das kann ich machen. Die Vorstellung beruhigt mich. Ich packe mein Gewehr fester und gehe rascher weiter.
     
    Wir marschieren stundenlang, geräuschlos, bis auf unser heftiges Atmen und das schärfere Knirschen des neuerstarrten Eises unter den Stiefeln, je kälter es wird. Ich vergesse den Krieg, Stancato, alles. Spüre nur noch meine Füße und die Kälte. Meine Stiefel sind völlig durchnäßt, und die Feuchtigkeit ist nach innen vorgedrungen. Eine ganze Zeit lang hatte ich Schmerzen in den Füßen, jetzt nicht mehr. Taub. Aber morgen habe ich sicher Blasen. Ich hasse Blasen an den Füßen. Ich möchte wetten, Stancato bekommt nie welche. Ich wette, der hat in seinem ganzen Leben noch keine einzige Blase gehabt. Oder einen Pickel im Gesicht, oder so. Der wäre bestimmt viel weniger unausstehlich, wenn er mit ’nem Gesicht voller Pickel aufgewachsen wäre wie jeder normale Mensch.
    Der Wind faucht jetzt sehr laut, kreischt um die Kiefern herum und beißt ziemlich scheußlich durch unsere erbärmlichen Uniformfetzen. In einer Welt aus Rot und Schwarz wirkt diese schneidende Kälte seltsam fehl am Platz. Blau und Weiß, das wären doch die Farben der Kälte. Das alles hier stimmt einfach nicht. Aber ich fühle es trotzdem.
    Wir gehen. Ohne Ziel? Vielleicht nicht einmal. Aber mir kommt es so vor. Tramp, tramp, tramp, the boys are marching … [5] Das ist der Krieg. Ein stark überbewerteter Schwindel.
    Der Gedanke schießt mir durch den Kopf und ist sofort wieder weg. Denn ich denke wieder an meine Beine und an die Kälte. Unverändert. Nichts sonst interessiert mich lang genug. Das Gewehr ist jetzt sehr kalt, der Plastikkolben fühlt sich fast wie Eis an. Vielleicht ist er mir schon an der Hand festgefroren. Dann kann ich das Scheißding wenigstens nicht mehr fallenlassen, wenn es mit der Schießerei wieder losgeht.
    Und immer weiter gehen wir. Und alles schweigend. Atemgeräusche und Tritte vor und hinter mir. Und ich habe keine Ahnung, was überhaupt los ist. Müßte schon nach Mitternacht sein. Muß es wirklich schon sein. Anscheinend haben sie den Kampf für den Rest der Nacht abgebrochen. Ich kann jedenfalls nirgends was hören. Aber vielleicht

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