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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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nur, weil Oshi aussah wie die jungen Piloten, die damals von gesellschaftlichen Konventionen in einen »freiwilligen« Tod geschickt worden waren. Vor dem Abflug hatten sie noch Tee bekommen; auf dieses Zeremoniell verzichtete Clegg.
    »All Systems ready«, sagte Oshi mit einer gewissen Lässigkeit zu Clegg.
    Der Major nickte mehrmals, ganz unmilitärisch, vielleicht, weil er der Sache doch nicht ganz sicher war. »Go«, sagte er dann ziemlich heiser. Vielleicht hatte er doch Bedenken, auf einem fremden Planeten mit dem Hammer zu philosophieren.
    Oshi wandte sich mit voller Konzentration seinem Keyboard zu. Dann stockte er, sah sich plötzlich geistesabwesend um und stand aus seinem Sitz auf. Während ihn alle verblüfft anstarrten, stieg er von der Magnetkanone herunter, trat zu einem der umherstehenden Pioniere, zog dem das lange Bowiemesser aus dem Futteral am Gürtel und stieß es sich links, ungefähr in Blinddarmhöhe, in den Bauch. Scharlachrotes Blut spritzte fast einen halben Meter weit heraus. Während noch alles bewegungslos glotzte, zog Oshi das Messer kraftvoll über seine Bauchdecke; dann, als endlich Clegg mit einem Aufbrüllen auf ihn zustürzte, hob er es hoch und rammte es sich seitlich in den Hals, worauf er zusammenbrach wie eine Lumpenpuppe.
    »Scheiße«, schrie Clegg, Oshis Kopf haltend, während das Blut aus der Halsschlagader in dünnen, pulsierenden Stößen schaumig spritzte, »Scheißescheißescheiße!« Dann riß er sich zusammen, legte den Kopf des Toten sanft zurück auf den Boden und richtete sich auf, wobei er seine über und über mit Blut besudelte Uniform betrachtete.
    »Ruhe!« überbrüllte er das Stimmengewirr. Zumindest die Soldaten schwiegen sofort. Die Peddycarry war blaß und hatte die Hand auf den Mund gepreßt.
    Clegg verfügte, daß die Leiche weggebracht wurde. Dann setzte er eine Besprechung an, mit allen Unteroffizieren und Wissenschaftern.
    Eine halbe Stunde später saßen wir in der Kommandanturbaracke um einen Konferenztisch.
    »Was war das?« Clegg meinte mich. Die Physiker sollen alles wissen.
    »Ein klassisches Seppuku, ausgeführt mit dem, was gerade zur Hand war. Eigentlich öffnet man sich dabei mit dem Seitenmesser kreuzförmig die Bauchdecke, sobald man damit fertig ist, schlägt einem ein Schwertträger den Kopf ab. Oshi hatte kein Samuraischwert, aber unter den gegebenen Verhältnissen hat er mit dem Bowiemesser alle wesentlichen Bedingungen erfüllt.«
    Clegg starrte mich an. Seine Augäpfel waren ziemlich gelblich, soff wohl zuviel, der Junge.
    »Und warum macht der Mann so was?«
    »Ich weiß es nicht genau«, sagte ich, »Seppuku stellt die verlorene Ehre wieder her; aber ich habe keine Ahnung, warum er geglaubt haben könnte, seine Ehre verloren zu haben. Nebenbei: ich weiß, daß die Japaner in unseren Truppen sehr viel Traditionspflege treiben, aber meines Wissens hat seit gut 200 Jahren niemand mehr Seppuku begangen.«
    Clegg wandte sich Bragoff zu. Bragoff war ein langsamer, aber genauer Mann. Viele gaben etwas auf sein Urteil.
    »Sergeant, ist Ihnen etwas an dem Vorgang aufgefallen?«
    Bragoff schwenkte bedachtsam seinen schweren Schädel. »Nun, Sir, ich hatte den Eindruck, Oshi war drauf und dran, den Befehl auszuführen, als ihn etwas sozusagen überkam – als hätte er einen anderen Befehl bekommen.«
    »Den Befehl, sich umzubringen?«
    »Es sieht so aus, Sir.«
    »Es sah aus wie ein posthypnotischer Auftrag«, sagte die Peddycarry ungefragt.
    »Hypnose«, sagte Clegg mit soviel Verächtlichkeit, daß sich ein ganzer Satz erübrigte, um seine Meinung unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen.
    »Die Frage«, fuhr er dann, zu allen gewandt, fort, »ist natürlich die, ob dieser bedauerliche Vorfall in einem Zusammenhang mit unserer Absicht steht, einen atomaren Schlag zu führen, und, falls ja, was für ein Zusammenhang vorstellbar ist.«
    »Wenn wir nicht an telepathische Beeinflussung glauben wollen«, ergänzte ich.
    In diesem Stil ging die Konferenz weiter. Niemand hatte eine halbwegs brauchbare Hypothese, was passiert sein könnte. Wie in solchen Fällen üblich, wurden alle Entscheidungen auf später verschoben. Die Lagerwachen wurden verstärkt, was wohl auch keinen Sinn hatte, aber den Eindruck von Aktivität machte.
    In den nächsten beiden Tagen ging bei den Probebohrungen alles schief, was irgendwie schiefgehen konnte. Es gab sogar mehrere Verletzte unter den Arbeitern, und wir alle gerieten allmählich in einen Zustand der

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