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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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die Lautsprecherstimme besorgt. Die Telemetrie-Anzeigen waren grün, doch die subtileren Symptome des Wahns ließen sich damit nicht identifizieren.
    Timothy nickte und starrte auf das Gesicht Jay Mohrs herab. Es hatte sich nicht verändert. Es war noch immer völlig ausdruckslos, eine Maske.
    »Urteil?«
    Timothy zuckte bei diesem einen Wort unwillkürlich zusammen. Steifbeinig trat er an das Retinaskop heran und bezog davor Aufstellung. »ID-Überprüfung und Aufzeichnung«, sagte er heiser.
    »Bestätigt und bereit.«
    »Ich, Doktor …« Daemons Stimme versagte, und er begann noch einmal. »Ich, Doktor Daemon Timothy, vom Euthanasie-Amt zur Praxis in Kalifornien autorisiert, stelle hiermit fest, daß der Patient Julius Andrew Mohr, in vollem Verständnis seiner Situation, den Wunsch ausgedrückt hat, nicht länger am Leben erhalten zu werden.«
    Und im Anschluß an diese Worte glaubte er das zornige Kreischen all der anderen Patienten zu hören, die in diesem Raum gestorben waren.
    »Aufgezeichnet«, sagte die Lautsprecherstimme gelassen.
    Zur Hölle mit dir! Es ist unfair, die ganze Verantwortung allein mir aufzubürden! Du machst dich mitschuldig!
    Timothy kehrte an die Liege Jay Mohrs zurück und blieb vor den Kontrollen des Lebenserhaltungssystems stehen. Er zwang sich dazu, erneut in das Gesicht des jungen Mannes zu sehen, eines hilflosen Menschen, der noch lebte, der sich, tief in seinem Innern, an das klammerte, was ihn noch mit dieser Welt verband. Daemons Hände bewegten sich von ganz allein und schoben eine schützende Abdeckung beiseite. Dann griffen sie nach dem Schlüssel, den er an einer Kette am Hals trug. Er ließ ihn in die dafür vorgesehene Öffnung gleiten
    und
    Möge ihm …
    drehte ihn
    Gott gnädig sein.
    um.
    Rote Lichter blitzten auf dem Pult auf, doch der Blick Timothys war nach wie vor auf das Gesicht gerichtet. Die Züge schienen sich ein wenig zu verwischen. Und dann froren sie ein, für immer.
    Hoffentlich findet er jetzt Frieden. Und ich ebenfalls.
    Blaßgesichtige Bedienstete betraten die Kammer und brachten den Toten fort. Timothy beachtete sie gar nicht. Noch immer sah er nur das Gesicht vor sich, selbst dann noch, als er die Bühne verließ – ein weiterer Alptraum, der ihn von nun an quälen mochte.
    Er bebte am ganzen Leib. Die Nachwirkungen Phantoms würden ihn noch für einige Stunden belasten – und ihn für den Rest seines Lebens zeichnen.
    Im Büro Doktor Cardozos wartete ein großes Glas Cognac auf ihn. Das Zimmer war leer – der Abteilungsleiter wußte, wie wichtig es war, nach der Auflösung einer Verbindung eine Zeitlang allein zu sein.
    Timothy ließ sich in den Sessel Doktor Cardozos sinken und stützte die Füße auf den Schreibtisch. In einigen Minuten mußte er in den Bereitschaftsraum zurückkehren und seine Erinnerungen an die Verbindung zu Protokoll geben. Anschließend nach unten, vor den Überprüfungsausschuß, der eine andere Art von Urteil aussprach. Dann nach Hause.
    Doch vor seinen Gedanken konnte er nicht fliehen.
     
    Die Doktoren James Ware und Arlene Koch diskutierten gerade über einen Patienten, der an einem Scheitellappentumor litt. Sie standen vor der Krankenstation im neunzehnten Stock, einer Insel der Ruhe in den Stromschnellen der hektischen Hospitalaktivität.
    Plötzlich stieß Doktor Ware seine Kollegin an und brummte: »Sehen Sie nur, wer da kommt!«
    Doktor Koch hob den Kopf, und auch andere Leute im Korridor wurden aufmerksam. Einige von ihnen wandten sich rasch ab und versuchten, sich irgendwo zu beschäftigen.
    Doktor Daemon Timothy hielt auf den Lift zu, und in dem weißen Kittel wirkte er wie ein ganz gewöhnlicher Arzt. Dennoch erregte er Aufsehen, sogar bei den Beobachtern, die weder ihn selbst noch seine Tätigkeit kannten.
    Denn er trug das E-Amt-Abzeichen.
    War in die Aura des legalen Mords gehüllt.
    Die anderen Männer und Frauen im Gang wichen zur Seite und machten ihm Platz. Niemand wollte in die Nähe Timothys gelangen.

    Er betrat die Liftkabine, und die Doppeltür schob sich zu.
    »Wohin er wohl unterwegs ist«, murmelte Doktor Ware. »An seiner Stelle würde ich der nächsten Kneipe einen Besuch abstatten und mich vollaufen lassen.«
    »Bestimmt sucht er jetzt die Wöchnerinnenstation auf«, sagte Doktor Koch sanft.
    »Wie bitte? Ich dachte, er sei geschieden.«
    »Das ist er auch. Er sieht sich dort nur einfach die Neugeborenen an. Durch die Fenster des Krippenzimmers. Gesellt sich den dortigen Vätern

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