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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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heran und blickte auf den Scanner. »Identifikation positiv«, erklärte die Lautsprecherstimme. »Und hier kommt auch schon Ihr Hirnsaft.«
    Einige Sekunden später öffnete sich ein Wandfach, und darin befand sich eine mit einer klaren Flüssigkeit gefüllte Phiole.
    Timothy zitterte. Ein Teil von ihm verspürte den Wunsch, die Phiole zu greifen und mit aller Kraft an die Wand zu schleudern, so daß das Glas zerbrach und die Flüssigkeit herausspritzte und verdampfte.
    Aber eben nur ein Teil.
    Der andere war stärker und veranlaßte Daemon dazu, mit bebenden Händen nach dem kleinen Gefäß zu greifen und damit zu Jay Mohr zurückzukehren. Eine ganze Weile blieb er reglos neben der Liege stehen, starrte auf das maskenhaft starre Gesicht herab und fragte sich, was hinter der Stirn des Mannes vor sich gehen mochte. Gleich werde ich es wissen – und vermutlich erfahre ich mehr, als mir lieb ist, wie üblich.
    Er zuckte die Achseln und streckte sich rücklings auf der anderen Liege aus. Sein Kopf war dadurch nur noch rund dreißig Zentimeter von dem Mohrs entfernt. »Ich bin fertig«, sagte er, und die Furcht ließ seine Stimme deutlich vibrieren.
    »Bestätigung«, erklang es förmlich aus dem Lautsprecher. »Das Telemetriesystem ist aktiviert. Die Notärzte sind bereit. Rotes Bühnenlicht – positiv. Viel Glück!«
    Timothy erwiderte nichts darauf. Er blickte auf die Phiole, öffnete sie mit einem entschlossenen Ruck und trank ihren Inhalt. Dann holte er aus und warf das Fläschchen an die Wand.
    Mit der linken Hand tastete er nach der anderen Liege, und die Fingerspitzen berührten den kahlgeschorenen und bandagierten Schädel Mohrs. Die direkte körperliche Verbindung war sehr wichtig – obgleich niemand wußte, ob das einen biophysischen oder psychologischen Grund hatte.
    Sie können memoriale Daten speichern und einem anderen Hirn einprägen. Warum läßt sich dies alles nicht elektronisch bewältigen? Warum braucht man unbedingt das Phantom? Timothy wußte, daß gerade daran gearbeitet wurde, und er hoffte, daß man eine Lösung fand, bevor weitere Leben in dem gleichen Maße wie seins ruiniert waren.
    Tetrathalitimocyansäure. T-991. Hirnsaft. Phantom. Es gab noch Dutzende von weiteren umgangssprachlichen Bezeichnungen dafür, und die meisten von ihnen hatten abwertenden Charakter. Die bestuntersuchte Substanz seit dem Penizillin – und doch wußte niemand so recht, wie sie funktionierte und was sie eigentlich bewirkte. Gab sie demjenigen, der sie einnahm, telepathische oder empathische Fähigkeiten? Die Reaktion (wenn sie überhaupt erfolgte, was nur bei sehr wenigen besonders anfälligen Personen der Fall war) erwies sich als viel zu subtil, als daß man sie hätte definieren können.
    Aber ob man nun das Gefühl hatte, nur auf die gleiche Art und Weise zu denken wie der Verbindungspartner oder aber direkt seine Gedanken zu lesen – an dem Ergebnis an sich änderte das überhaupt nichts. Und angesichts der in diesem Resultat steckenden Macht war Phantom die am strengsten kontrollierte Droge überhaupt. Durch den Verkauf einer einzigen Phiole auf dem Schwarzmarkt hätte man reich werden können. Illegaler Besitz der Substanz wurde mit zwanzig Jahren Zwangsarbeit im Staatsdienst bestraft.
    Die einzige legale Verwendung war die für E-Amt.
    Timothy schloß die Augen, und Dunkelheit wogte heran. Die Wahrnehmungen des Hör-, Tast-, Geschmacks- und Geruchssinns trübten sich und verschwanden dann ganz. Daemon war nicht mehr wach, schlief jedoch auch nicht. Sein Geist durchstreifte die Dämmerungszone jenseits der bewußten Existenz.
    Ich … bin … Daemon … Timothy …
    Dunkelheit ohne irgendwelche Konturen. Suchen. Jagen. Empathische Tentakel, die sich nach der verlorenen Seele ausstreckten.
    Ich … bin … ich … bin …
    Er wußte, wonach er Ausschau hielt, und er kannte auch den Grund, doch plötzlich konnte er sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Eigenerinnerungen verblaßten. Fremde Reminiszenzen erstarkten.
    Wo versteckte sich die verlorene Seele? Tiefer in die Nacht stieß er vor. Noch weiter hinein in die Schwärze tasteten die emotionalen Pseudopodien.
    Der Verlorene hatte sein einstmals so prächtiges Schloß verlassen, jene Korridore und Festsäle, die irgendwann einmal von den Kronleuchtern des Bewußtseins erhellt worden waren. Jetzt aber war die Burg leer und dunkel. Der Herr, von Pein gequält, hatte irgendwo in den Gewölben der Katakomben Zuflucht gesucht.
    Der erste Liebesakt …

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