L.A. Woman
stellen. Welche Art von Ziel suchst du eigentlich, und warum musst du so genau wissen wie deine Zukunft aussehen wird?“
„Warum ich …“ Sie war verblüfft. „Nun, mal sehen. Vielleicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, für immer mal diesen, mal jenen verhassten Job zu machen, bis ich in Rente gehe. Oder vielleicht will ich einfach nicht alleine sein, wenn ich alt werde – und jetzt übrigens auch nicht. Ich bin überzeugt davon, dass du das oberflächlich findest, aber als ich mit Benjamin zusammen war, wusste ich, was ich hatte, ganz egal wie unfair und mies er sich mir gegenüber benommen hat. Um ehrlich zu sein, war jeder Job, den ich hier gemacht habe, irgendwie gleich, keiner hat mich interessiert. Mein einziges Ziel war, Spaß zu haben und im Hier und Jetzt zu leben. Aber auch das hat nicht funktioniert. So, und nun bin ich genau da, wo ich angefangen habe.
Und ich hasse es!“
Zu ihrer eigenen Überraschung begann sie zu weinen, dicke Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Sie konnte sie nicht unterdrücken. Nach einer Weile sagte sie mit bebender Stimme. „Mist. Manchmal wünsche ich mir einfach jemanden, der mir sagt, was ich verdammt noch mal mit meinem Leben anfangen soll.“ Sie vermied jeglichen Blickkontakt. Sie wollte nicht wissen, was sie sehen würde. Mitleid? Vielleicht. Er konnte sehr mitfühlend sein. Viel wahrscheinlicher jedoch würde er sie mit seinem üblichen verächtlichen Blick anschauen. Denn wenn auch nur irgendwas von dem, was sie gesagt hatte, auch für ihn wichtig wäre, würde er schließlich nicht so leben, oder?
Sie wandte sich ab und wollte ihr Kleid überziehen, doch er hielt sie erneut zurück. Endlich sah sie ihn an.
„Jedem geht es so.“
„Wie bitte?“
Er sah sie geduldig an. „
Jedem
geht es so. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“
Sie blinzelte.
„Martika zieht durch die Clubs, weil das ihrem Leben einen gewissen Sinn gibt. Deine Freundin Judith versucht, es jedem recht zu machen, und das ist ihr Lebensinhalt. Jeder glaubt, dass er die Antwort kennt. Wenn du also kein bestimmtes Ziel verfolgst, wenn du keinen Grund hast, morgens aufzustehen, dann wirst du früher oder später eben einfach nicht mehr aufstehen.“
Sie zog die Nase hoch. „So. Und was für einen Grund hast du, morgens aufzustehen?“
Er lächelte, und sein schmales Gesicht war mit einem Mal sehr attraktiv. „Schreiben.“
„Schreiben?“ fragte sie überrascht.
Er nickte. „Ich war auch mal so wie du. Ich wollte meinen Doktor in Psychologie machen und schrieb nur so aus Spaß ein bisschen nebenbei. Niemand, den ich kannte, hatte es jemals geschafft, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden. Aber schließlich wurde das Schreiben immer wichtiger für mich, und ich konnte mich nicht mehr richtig auf mein Studium konzentrieren. Also habe ich mein Diplom gemacht und dann aufgehört.“
„Du hast ein Diplom in Psychologie?“
„Spielt das eine Rolle?“ Er zuckte die Achseln und schien verlegen. „Ich bin nach L.A. gezogen, weil ich für mein Buch recherchieren wollte, und diese Stadt erstaunt und erschreckt mich gleichermaßen. Ich komme aus San Diego, das Leben dort funktioniert anders. Na ja, ist ja auch egal.“ Er seufzte. „Ich hatte zuerst ein mickriges Apartment, das ich mit drei anderen Typen geteilt habe. Es war schrecklich, aber billig. Und ich habe angefangen zu schreiben. Zwar konnte ich damit meine Rechnungen nicht bezahlen, dafür musste ich in einem Coffeeshop arbeiten, doch ich schwöre dir, in meinem ganzen Leben war ich nie zufriedener.“
„Und das ist alles?“ Sie war neidisch. Er klang so glücklich, so
zielbewusst
. „Damit hast du herausgefunden, was du mit deinem Leben anfangen willst?“
„Ich nehme an, ganz unbewusst war mir immer klar, dass ich schreiben wollte, und trotzdem habe ich erst mal den falschen Weg eingeschlagen. Doch irgendwie hat es mich immer wieder zum Schreiben hingezogen.“ Er begann, Sophie hinter dem Ohr zu streicheln.
Sarah setzte sich auf die Armlehne neben ihn und sah ihn an, als ob er ein gottgleiches Wesen wäre. Jemand, der wusste, um was es im Leben ging.
„Ich fühle mich aber zu nichts hingezogen.“
„Vielleicht hast du nur nicht richtig aufgepasst“, sagte er freundlich. „Vielleicht musst du aufhören zu suchen, damit es dich finden kann.“
Sie sah ihn böse an. „Das klingt ganz schön esoterisch.“
Er lachte. „Tut mir Leid. Alte Gewohnheit.“
Sie zog das T-Shirt über die nackten Beine.
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