L.A. Woman
ob du das innerhalb von fünf Minuten überhaupt beurteilen könntest,“ antwortete Sarah scharf. „Du kennst ihn nicht. Du kennst ja nicht einmal
mich
, und ich lebe hier!“
„Gut!“ Martika grinste sie boshaft an. „So laut und klar hast du dich bisher noch nicht ein einziges Mal geäußert! Ich habe mich schon gefragt, ob du tot bist. Dann erzähl mir doch mal, was konkret so wunderbar an deinem Traumprinzen ist. Was habe ich übersehen?“
Sarah war sich für eine Antwort zu schade und außerdem sowieso schon zu spät dran. Sie murmelte nur etwas Unverständliches in Martikas Richtung und beschwor vor ihrem geistigen Auge ein Bild von Benjamin, in dem er in der Dunkelheit herum stolperte, sich anzog und versuchte, sie nicht zu wecken, während er sie zart auf die Wange küsste.
Nein, Martika kannte ihn nicht, aber sie. Nachdem sie seit vier Jahren mit ihm verlobt war, sollte sie es doch besser wissen, verdammt. Im Schlafzimmer zog sie Jeans und T-Shirt an. Verdammt, verdammt.
Verdammt!
Sarah grübelte auch am Samstag noch über die Präsentation nach, obwohl das der erste freie Tag seit … oh seit viel zu langer Zeit war. Das Gebäude wurde auf Asbest untersucht, weshalb Becky sie ausnahmsweise einmal nicht zwingen konnte zu arbeiten, obwohl sie es versucht hatte. Sarah hatte sich mit Judith in Melrose im Il Trattorio verabredet. Es war schön, endlich mal wieder ein freundliches Wesen zu sehen, das nicht Berge von Arbeit für sie hatte.
Sarah stocherte in ihrem Salat herum. „Judith? Findest du, dass Benjamin … ich meine, hast du den Eindruck … “
Judith seufzte und legte Gabel weg. „Ich kann mir schon denken, dass deine Mitbewohnerin hier ihre Hände im Spiel hat. Was ist denn das so genannte Problem mit Benjamin?“
„Du findest nicht, dass er ein Arsch ist, oder?“
Judith starrte sie an. Erst jetzt fiel Sarah auf, dass sie noch nie gehört hatte, wie Judith jemanden einen Arsch genannt hatte. Niemals.
„Nein, selbstverständlich denke ich
nicht
, dass er ein … dass er das ist.“ Judith strich die Serviette auf ihrem Schoß glatt. „Nur weil er nicht so ein Freak ist und keine Tätowierungen hat, heißt das nicht, dass er ein … ist.“ Sie blickte sich um, besorgt, dass jemand an den anderen Tischen ihr Gespräch verfolgte. „Auf jeden Fall, er ist keiner!“
Als Sarah sah, dass Judith sogar ein wenig rot wurde, unterdrückte sie nur mühsam ihr Bedürfnis „Arsch! Arsch! Arsch!“ zu rufen.
„Warum fragst du mich das? Denkst
du
, dass er einer ist?“
Sarah starrte auf den Tisch. „Ich bin in letzter Zeit irgendwie unglücklich.“
„Das ist ja verständlich“, sagte Judith beschwichtigend. „Ihr seid jetzt schon ziemlich lange getrennt, und das habt ihr seit der Collegezeit nicht mehr gekannt.“
„Ich weiß, ich weiß“, sagte Sarah. „Es ist nur …“ Sie zögerte.
„Jetzt spuck’s schon aus.“
„Naja, findest du nicht, dass es zumindest … ziemlich mies von ihm ist, dass er noch immer nicht hier lebt und sich zu allem Überfluss auch noch weigert, mir mit der Miete zu helfen?“
Judith warf ihr einen zweideutigen Blick zu. „Du meinst, nachdem er feststellen musste, dass die Unterstützung für sein Vorhaben, die er sich von seinem Chef erhofft hatte, ausblieb?“
Sarah fuhr starrsinnig fort. „Okay, aber … er ruft nie an, er hat mich nur ein einziges Mal besucht, und es geht immer nur um
ihn
!“
„Wo sich doch alles nur um dich drehen sollte?“
Sarah starrte sie an. „Nein, es sollte einfach ausgeglichen sein.“
Judith schüttelte den Kopf und trank dann einen Schluck Eistee. „Sarah, was genau hat er dir angetan, was war so mies?“
„Er unterstützt mich einfach in keiner Weise.“ Sarah wusste, wie lahm das klang, und die sorgsam gewählten Argumente, die sie auf dem Weg zum Mittagessen sich selbst vorgesagt hatte, erschienen ihr mit einem Mal jämmerlich. „Ich meine, ich weiß ja, dass er viel zu tun hat, aber … aber ich finde, auch ich habe wirklich höllisch viel gearbeitet …“
„So, wie er es seit Jahren tut“, unterbrach Judith.
„Judith, du bist nicht gerade eine Hilfe!“ brach es aus Sarah heraus.
„Aber ich will dir doch helfen. Ich versuche nur, das alles ins richtige Verhältnis zu setzen.“ Ihre Stimme klang so klar und logisch wie die von Mr. Spock. Sarah verkniff es sich zu schmollen. Sie fühlte sich wie ein kompletter Idiot. „Er arbeitet doch wirklich hart dafür, dass er endlich nach L.A. kommen
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