L.A. Woman
sah aus wie ein Hohepriester. „,Studenten‘, sagte er, ‚schaut nach rechts und dann nach links. Ich verspreche, nur einer von den dreien, die ihr seht, wird noch immer mit demselben Partner zusammen sein, wenn ihr die Uni verlasst. Das Leben hier ist einfach zu hart!‘“ Dekan Matthews schüttelte den Kopf. „Mein Gott. In Wirklichkeit war es dann sogar noch schlimmer. Ich hatte Glück mit Marta. Sie ist immer bei mir geblieben, hat alles mit mir gemeinsam durchgestanden … die unglaublichen Überstunden und, na ja, Sie wissen ja genau, wie das ist.“
Judith fuhr fort zu nicken. Sie kam sich vor wie eine dieser Puppen mit wackelnden Köpfen, die die Leute in ihrem Auto hatten. Sie wagte es nicht, auch nur ein Wort zu sagen.
„Genauso, wie David mit Ihnen Glück gehabt hat! Nicht wahr?“ Er zwinkerte ihr zu und schaute dann auf seine Uhr. „Nun, ich bin sicher, inzwischen hat Marta den Laden leer gekauft. Ich sollte sie schnell suchen, bevor sie verschwindet. Richten Sie David viele Grüße aus, ja?“
„Äh, natürlich.“
Und wie soll ich ihm erklären, was ich an einem Wochenende in der City Mall zu tun habe? Ach egal, mir fällt schon was ein.
Sie ließ es zu, dass Dekan Matthews sie höflich umarmte. Dann hielt er inne und starrte auf das Knopfloch ihres fast neuen schwarzen Blazers.
„Das ist aber eine hübsche Rose.“
„Danke schön.“ Judith war selbst überrascht, wie kühl ihre Stimme klang. „Ich versuche nur, das alte Stück ein wenig aufzumöbeln.“ Er ging, und sie wusste nicht, ob er ihr geglaubt hatte. Was, wenn er David alles erzählte? Und Marta, die es dann weiter tratschen würde und …
„Judith?“ Eine näselnde Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um.
Roger!
Er war tatsächlich unglaublich gut aussehend, genau so wie auf dem Foto. In einer Hand hielt er eine Rose, die exotisch aussah mit den orangefarbenen Blüten und den violetten Rändern. Sein Grinsen war ungeheuer sexy.
„Roger?“ wisperte sie.
„In Fleisch und Blut.“
Sie zuckte zusammen.
Das kann nicht seine echte Stimme sein!
Aber das war sie wohl doch, denn es ging weiter, unerbittlich. „Ich habe gewartet, bis du das Gespräch mit dem Gentleman beendet hattest … ich wollte dir keine Unannehmlichkeiten bereiten, du weißt schon.“
„Gentleman“ klang bei ihm wie
Gintlemin
und, was viel schlimmer war, seine Stimme war so hoch, dass es schmerzte, er klang fast wie ein jammerndes Mädchen. Sie starrte sein Gesicht an, den starken, kantigen Kiefer und seine ausdrucksvollen, intelligenten Augen.
„Möchtest du, äh, etwas essen?“ fragte er.
Sprich nicht. Bitte, sag einfach kein Wort!
Sie schüttelte den Kopf und starrte ihn weiterhin an. „Nein, ich spreche nicht, ich meine, ich bin nicht hungrig …“
„Oh. Okay.“ Er deutete auf einen Tisch. Sie setzte sich wie betäubt. Einen Moment lang entstand ein gesegnetes Schweigen. Dann räusperte er sich. „Es ist so schön, dich zu sehen.“ Er blickte sie gefühlvoll an. „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie du wohl bist, du weißt schon, in echt.“
„Mhm.“ Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, dieses Gespräch zu
tippen
!
„Ich bin etwas nervös.“
„Ich bin etwas verheiratet“, gab sie zurück, ein wenig schroffer, als sie es gewollt hatte. „Für mich ist das auch nicht gerade eine Meditationsstunde.“
Jetzt war er wieder still, und sie bekam Gewissensbisse.
„Tut mir Leid“, sagte sie schließlich. „Das ist … ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie ich glauben konnte, es würde funktionieren. Vielleicht so wie im Kino – irgendwie so wie in
Der englische Patient
, wo die beiden Liebenden einfach nichts dagegen tun können, dass sie sich lieben. Sie haben diese seelenvollen, gequälten Blicke.“ Und eine männlichere Stimme, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Nun, also, keine Ahnung, ich weiß nur, dass ich mir das auch anders vorgestellt habe.“ Er holte tief Luft.
Sie runzelte die Stirn. „Wirklich?“
„Na ja, es ist einfach …
anders
über das Internet, das ist alles. Ich kann … ich meine … ich werde nicht …“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sah dabei aus wie ein Calvin-Klein-Model. Für so ein Gesicht konnte sie doch über eine solche Stimme hinwegsehen, oder nicht? Aber konnte sie über ihre Ehe hinwegsehen?
„Inwiefern anders?“ fragte sie.
„Ich weiß auch nicht. Du hast so verloren gewirkt und so unglücklich, als wir begonnen haben, uns zu schreiben, ich
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