Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
Dann ihre Ohrfeige, aber León hatte nur gelächelt. Damals hatte sie nur Wut geschmeckt, aber nun legte sie unwillkürlich die Finger auf ihre Lippen. Dort war er bei ihr gewesen, ganz nahe. Und nun war sie vollkommen allein an einem fremden Ort.
Mary schaute nochmals die Gänge hoch und runter. Alles hier war so nüchtern, leblos und kalt. Wo war der Stern, der sie führen sollte? Wo die Tore? Würde sie hier jemals wieder rausfinden oder einsam und allein sterben?
Woran soll ich erkennen, wie die Zeit vergeht, und wie viel Zeit bleibt mir noch?
Verzweiflung machte sich in ihr breit, aber sie schob das Gefühl resolut zur Seite.
Alles, was bisher war, habe ich überlebt. Ich bin stark, ich werde auch hier durchhalten.
Woher diese innere Kraft kam, wusste sie nicht, vielleicht war es der Gedanke an León. Irgendwo in diesem Labyrinth war er. Sie würde ihn finden und gemeinsam würden sie diese Welt verlassen.
Sie war erwacht und stand nun auf zittrigen Beinen in einem langen Gang, der von einer nicht sichtbaren Lichtquelle erhellt wurde. Sie schaute sich um, aber da war nichts von den anderen, keine Spur.
Wie war sie hierhergekommen?
Ich müsste doch tot sein.
Sie erinnerte sich noch gut an die letzten bewussten Momente. Da waren die Männer gewesen, die sie gejagt hatten. Bis auf das Dach eines mehrstöckigen Hauses hatten die Fremden sie verfolgt. Als es keinen Ausweg mehr gab, hatte sie sich in die Tiefe gestürzt. Angst hatte sie keine mehr gehabt. Der Sturz schien endlos zu dauern. Einen Aufprall hatte sie nicht gespürt.
Bin ich im Himmel?
Sie kniff sich fest in die Wange und stöhnte auf. Nein, sie konnte nicht tot sein und das hier war auch nicht der Himmel. Es war nur eine weitere dieser beschissenen Welten, in die es sie verschlagen hatte.
Ich habe kein Portal benutzt. Wie komme ich also hierher? Ich kann gar nicht hier sein.
»Jeb! Jenna!«, rief sie laut. »Mischa, Mary, León?«
Sie lauschte.
»Hört mich jemand?«
Keine Antwort.
Was sollte sie jetzt machen? Auf eigene Faust die Tore suchen? Ohne den Stern als Orientierung, in geschlossenen Räumen, war die Sache aussichtslos. Oder eine Herausforderung. Und sie liebte Herausforderungen, denn sie war eine Gewinnerin.
Wohin also führen diese verdammten Gänge?
Plötzlich fiel ihr auf, dass sie etwas in der Hand hielt.
Ein großes, blutverschmiertes Messer. Das, mit dem sie in der letzten Welt einen der Jäger getötet hatte.
Erschrocken ließ sie es fallen. Das Klirren dröhnte unendlich laut in dem stillen Gang.
Das Messer habe ich auf dem Dach zurückgelassen – aber warum ist es jetzt hier?
Sie blickte auf den Boden, sah das getrocknete Blut an der Klinge und wich zurück. Nein, sie würde es nicht noch einmal benutzen. Sie war auf sich allein gestellt und sie brauchte niemanden. Sie war bereit, was auch immer sie erwartete. Entweder sie erreichte die Tore vor ihnen oder sie würde mit Jenna, Jeb, Mischa, León und Mary darum losen. Sie wollte diesmal eine ehrliche Chance haben.
Oder ich sterbe.
Noch etwas unsicher machte Kathy die ersten Schritte. Sie folgte dem Gang, der schnurgerade auf eine fahle Dunkelheit zustrebte, Kathy konnte nicht erkennen, was dahinterlag. Sie hoffte, dass nichts Grausames auf sie wartete.
Die Zeit zog sich endlos, auch am zurückgelegten Weg konnte sie nicht ausmachen, wie weit sie gekommen war oder ob sie überhaupt in die richtige Richtung lief, die sie irgendwohin führen würde. Dann endlich stieß sie auf die Abzweigung. Sie hatte nun zwei Möglichkeiten, links oder rechts. Kathy rief in beide Gänge hinein und lauschte. Niemand antwortete.
Welcher war der richtige Gang? Gab es überhaupt Richtig oder Falsch? Führten vielleicht alle Wege ans Ziel?
Nein, daran glaubte Kathy nicht. Die nackten weißen Wände, der glatte weiße Fußboden. Nirgends Hinweise oder Zeichen. Keine Gegenstände, die einem helfen konnten, und auch keine anderen Personen.
Nein, nein, nein, Kathy fühlte, sie war sich sicher, dies war eine weitere Prüfung, nur diesmal ohne jeglichen Orientierungspunkt. Sie war getrennt von den anderen. Sie war hungrig, durstig und sie trug noch immer die Sachen aus der Eiswelt. Kein Anhaltspunkt auf die noch verbleibende Zeit.
Also wohin nun? Links oder rechts?
Hatte nicht mal jemand gesagt, wenn man sich verlaufen habe und auf Abzweigungen stoße, solle man immer den rechten Weg wählen. So war die Wahrscheinlichkeit am größten, wieder herauszufinden.
Wer hat mir das
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