Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
hatte sich ein stechender Schmerz gebohrt, der sie zwang anzuhalten.
Sie keuchte. Jenna beugte sich nach vorn und stützte die Hände auf den Knien ab. Seitenstechen. Ihr Brustkorb pumpte bei jedem Atemzug. Als sie sich aufrichtete, wurde der Schmerz in ihrer Seite schlimmer und sie musste sich wieder vorbeugen.
Sie dachte an Mischa, der mit gebrochenen Rippen eine Felswand bestiegen hatte, um danach durch eine feindliche, im tiefen Schnee liegende Welt zu stapfen. Nun erfuhr sie am eigenen Leib, was er durchgemacht haben musste. Zumindest fast.
Schließlich habe ich nur Seitenstechen und bin noch nicht einmal verletzt.
Wie es Mischa wohl erging? Ob er gerade auch diesen endlosen Gängen auf der Suche nach einem Weg hinaus folgte? Und die anderen? León? Der würde wahrscheinlich die Wände einreißen, auf der Suche nach einem Ausgang.
Mary? Sie traute sich selbst nichts zu, war aber ganz schön zäh. In allen Welten hatte sie am meisten unter den Strapazen gelitten, sich aber dennoch tapfer vorangekämpft. Nein, Mary durfte man nicht unterschätzen.
In diesem Moment erklang ein Schrei. Ein wilder, langer Schrei.
Jenna erkannte die Stimme sofort.
Mary.
Sie war in Gefahr, das war Jenna sofort klar. Mary kämpfte um ihr Leben.
Jenna vergaß all ihre Schmerzen und ihre Erschöpfung und rannte los.
S ie hockten sich gegenüber, jeder mit dem Rücken an eine Wand gelehnt. Mischa war übel zugerichtet. Sein ganzer Körper schmerzte, als hätte jemand ihn mit einem Hammer zertrümmert. So ähnlich war es ja auch gewesen. Seine Rippenprellung war wieder erwacht und machte ihm das Atmen schwer. Mischa öffnete die Augen und blickte zu León hinüber.
León hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Blut floss ihm aus der Nase und schien nicht zu stoppen zu sein. Trotz der Tätowierungen in seinem Gesicht konnte Mischa erkennen, dass es León nicht besser als ihm selbst ging. Er sah aus, als wäre er von einem Bus überrollt worden.
Sie hatten ohne Rücksicht, ohne Skrupel und mit voller Kraft aufeinander eingeprügelt, bis sie zu schwach für die nächste Runde gewesen waren. Keiner hatte den Sieg über den anderen errungen, aber darum war es auch nicht gegangen.
Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, León zu berühren, meinetwegen auch wehzutun, und angestachelt von dem Hass des anderen, hatte Mischa auf León eingedroschen. León mochte ihn hassen, doch Mischas Gefühle waren stärker. Denn er begehrte ihn. Leóns Reaktion hatte ihn nicht überrascht, er flüchtete sich in das, was er kannte – Gewalt. Und das hatte Mischa in Kauf genommen, denn wenigstens waren die Dinge zwischen ihnen – und mit ihm selbst – jetzt im Reinen. Ihr Kampf hatte alle Konflikte offen zutage gebracht, jetzt wusste er, woran er bei León war. Mischa veränderte seine Position und stöhnte auf, als der Schmerz wie grelle Blitze durch seinen Körper fuhr. Jeder Atemzug zerriss ihm fast den Brustkorb. Sofort senkte León den Kopf und starrte ihn an.
»Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden, Arschloch«, knurrte León.
Mischa erwiderte seinen Blick. »Ich kann das erklären.«
»Da gibt’s nichts zu erklären.« León presste die Worte wie unter Schmerzen heraus.
»… ich kann doch nichts für meine Gef…«
»Mierda, halt verdammt noch mal die Fresse!« León fletschte die Zähne, blieb aber sitzen. »Wehe, du nimmst nur ein weiteres Wort in den Mund, um irgendwelche Scheißgefühle zu beschreiben. Das ist doch krank!«
»Nein, deine Liebe zur Gewalt, die ist krank. Als ob du es genießen würdest, dass man dich schlägt.«
León glotzte ihn an. Sein rechtes Auge begann zu zucken. »Pass auf, was du sagst, Mischa, sonst krieche ich zu dir rüber und hau dir so lange auf die Fresse, bis du dir alle deine Zähne anschauen kannst.«
»Du machst mir keine Angst mehr. Schau dich an, du kannst dich kaum noch rühren. Das hast du nicht erwartet, was? Dass dir jemand standhalten kann und nicht gleich nach dem ersten Schlag in die Knie geht. Ich erinnere mich, dass ich lange Zeit in einem Internat gelebt habe. Irgendwas an mir zog den Hass der anderen auf mich, da lernt man, sich zu wehren.«
»Ich kann mir gut vorstellen, warum die anderen dich gehasst haben.«
»Nein, kannst du nicht. Sie haben mich wegen meines Vaters gehasst. Das haben sie mich spüren lassen. Mehrfach wurde ich windelweich geprügelt, aber immer so, dass es bis auf ein paar blaue Flecken keine Hinweise darauf gab, was sie mit mir machten. So ging das die ersten
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