Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
keinen Schmerz. Nur Zorn. Er war noch lange nicht fertig mit Mischa. Er bleckte die Zähne.
Mary vermutete, dass Kathy in der Nähe war, daher musste sie ganz besonders vorsichtig sein. Sie zog ihre Stiefel aus, band sie an den Schnürsenkeln zusammen und hängte sie sich um den Hals. Lautlos schlich sie auf Socken weiter, das Messer in der rechten Faust.
Du entkommst mir nicht.
Mary ging weiter, langsam. Vor ihr machte der Gang eine Biegung und sie linste vorsichtig um die Ecke, doch bevor sie etwas erkennen konnte, wurde sie von einer Hand an der Kehle gepackt. Eine zweite Hand schloss sich um ihr rechtes Handgelenk, das mit dem Messer, und ihr Angreifer presste sie gegen die Wand. Sie zerrte und schüttelte sich, aber der Griff lockerte sich nicht. Mary hielt inne, riss den Kopf herum, um ihren Angreifer zu sehen.
Kathy.
Hasserfüllt starrten sich die beiden an, wenn auch in Kathys funkelnden Augen fast so etwas wie Erstaunen lag. Oder war es Kampflust?
»Warum schleichst du mir hinterher?«, zischte Kathy. »Und du hast dir ja sogar deine Stiefel ausgezogen. Spielst du etwa Detektivin? Du weißt doch, kleine Mädchen sollten nicht mit Messern in der Hand herumrennen. Das ist gefährlich.« Kathys Mundwinkel zogen sich nach oben. Spöttisch, herablassend.
»Du kannst mir keine Angst einjagen«, keuchte Mary. »Nicht mehr.«
»Ich werde dir nichts tun, wenn du mir nichts tust. So einfach ist das«, sagte Kathy ruhig.
»Spar dir den Scheiß, ich glaube dir kein Wort.«
Kathy schüttelte den Kopf und lächelte Mary an. Fast freundlich, fast ehrlich sah dieses Lächeln aus. Aber Mary wusste nur zu gut: Alles an Kathy war falsch.
»Lass das Messer fallen, bitte, Mary, dann können wir reden.«
Mary hätte am liebsten laut aufgelacht. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?
Sie versuchte, ihr Handgelenk zu befreien, aber Kathys Griff wurde noch fester. Dieses Mädchen hatte eine Kraft, die man ihr nicht ansah.
»Hör auf mit dem Gezappel und lass endlich das Messer los«, sagte Kathy jetzt. »Ich weiß, was du denkst. Tians Tod, ja, das war meine Schuld. Das kann ich nicht ungeschehen machen, aber habe ich nicht dein Leben gerettet? Wir sind quitt, okay?«
Mary wusste nicht, ob sie Kathy trauen konnte. Wahrscheinlich nicht. Aber wenn Kathy sie hatte umbringen wollen, hätte sie das auch schon in der letzten Welt tun können. Sie hätte Mary sogar jetzt und hier schon längst das Messer abnehmen können, wenn sie nur das im Sinn gehabt hätte. Mary traute Kathy ohne Weiteres noch einen kaltblütigen Mord zu – aber es war ohne Zweifel, dass sie es jetzt nicht darauf anlegte.
»Mary, ich will nur eines der Tore erreichen, genau wie du. Was du machst, was die anderen machen, ist mir egal.«
»Klar, Kathy.« Mary schnaubte verächtlich und versuchte, Kathys Überzeugungskraft etwas entgegenzusetzen. »Aber Schlange bleibt Schlange. Du bist skrupellos, du hast Tian umgebracht und mich wolltest du auch töten. Ich glaube kaum, dass wir jemals quitt sein können.«
»Du hast recht, okay. Aber brauchen wir nicht alle eine zweite Chance?«, sagte Kathy. »Du nutzt deine, ich meine. Lass du mich in Ruhe und ich lass dich in Ruhe.«
»Ich glaube dir kein einziges, beschissenes Wort.« Die Ruhe, die Kathy ausstrahlte, machte Mary Angst. Sie erinnerte sich, wie kaltblütig Kathy den Strick durchgeschnitten hatte, an dem Tian hing. Sie durfte Kathy nicht trauen. Niemals.
Kathys Gesicht kam näher, ihre Stimme bekam etwas Flehendes. »Ach, Mary, glaub mir doch endlich. Ich erzähl dir das doch nicht alles, weil ich so ein großes Mitteilungsbedürfnis habe. Also wirst du jetzt endlich das Messer loslassen?«
Mary spuckte Kathy ins Gesicht. »Fuck you!«
Kathy erstarrte. Wut blitzte in ihren grünen Augen auf. Alles in Kathy drückte Verachtung aus und die kannte Mary nur allzu gut. Sie schauderte. Ihre rechte Hand kribbelte, so fest hatte sie Kathy in ihre Faust gezwängt.
Doch Kathy lächelte sie an. »Dann eben nicht, kleine Mary.«
Mary begann zu schreien.
Jenna folgte noch immer dem Gang auf der Suche nach Jeb und den anderen. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber sie wusste, dass sie sich besser beeilen sollte.
Wo bist du, Jeb?
Sie hatte schon viel zu viel Zeit in diesen endlos langen Gängen verloren. Ohne Anfang, ohne Ende. Und dazwischen Jeb, immer wieder Jeb. Die Bilder von ihm ließ Jenna noch schneller gehen. Was, wenn ihm etwas passiert war? Sie musste ihn finden.
Ihre Zunge
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