Labyrinth der Spiegel
entgleiten die Gesichtszüge.
»Lass uns auf unsern Kunden warten.«
»Das ist deine Operation«, sagt Roman, »da triffst du die Entscheidungen.«
Unser Kunde kommt erst nach zehn Minuten, als ich schon langsam nervös werde. Ich kenne ihn unter dem Namen »Stino«, er mich als »Revolvermann«. Er ist eine gepflegte, unauffällige Erscheinung in einem schlichten Anzug und hat ein Gesicht, das man sofort wieder vergisst. Irgendein junger Typ mit einem Aktenkoffer in der Hand eben.
»Guten Abend, Revolvermann!«, begrüßt er mich. Bei der monotonen Stimme muss sich Stino über ein Übersetzungsprogramm mit mir verständigen.
»Guten Morgen«, erwidere ich nach einem Blick auf die Uhr. Das ist ein Spiel von uns. Wer die Ortszeit eines Divers und damit die Zeitzone, in der er lebt, herauskriegt, ist seinem Gegenüber schon mal im Vorteil.
»Ich weiß Ihren Humor zu schätzen …« Stino setzt sich auf den dritten Stuhl und sieht mich fragend an. »Ist die Ernte reif?«
»Wir haben dieses Jahr große Äpfel.« Ich hole die Diskette heraus und lege sie auf den Stuhl. »Ehrlich gesagt, erwarte ich für diese Arbeit etwas mehr Dankbarkeit …«
»Wir waren uns doch einig, oder? Sechstausend Dollar.«
Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Weil Sie behauptet haben, das Ding sei nicht mehr wert.«
»Und Sie sehen das anders?«
»Sie müssen doch zugeben, Herr Schöllerbach …«
Stino fährt zusammen.
»… dass Sie mindestens eine Null vergessen haben. Sicher, eine Erkältung ist keine große Sache. Aber wer liegt schon gern mit Fieber und Rotznase im Bett?«
»Das gefällt mir nicht.« Schöllerbach alias Stino verliert die Kontrolle über sich. Jetzt sieht er aus wie ein älterer Herr mit energischem, aber nervösem Gesicht. »Ich bin schließlich davon ausgegangen, dass auf das Wort eines Divers Verlass ist.«
»Das ist es auch. Ich überlasse Ihnen die Ware.« Ich schnippe die Diskette über den Tisch zu ihm hin. »Aber von heute an wird sich kein Diver mehr darum reißen,
für Sie zu arbeiten. Sie haben unseren Ehrenkodex verletzt, Herr Schöllerbach. Dass die Arbeit nach dem Grad ihrer Schwierigkeit bezahlt wird.«
Schöllerbach nimmt die Diskette an sich und erstarrt. Während ich von meinem Glühwein trinke, behalte ich ihn fest im Auge. Der Werwolf schweigt. Richtig, das ist meine Operation.
Als Schöllerbach die Datei endlich öffnet, sehe ich in seinen Augen, dass er begreift, was er da an Land gezogen hat.
»Also?«, frage ich.
»Fünfzigtausend«, antwortet Stino.
»Jedem von uns?«
Er schweigt. Sehr, sehr lange. Hier geht es um viel Geld. Um viel echtes Geld, steuerfreies Geld, das wer weiß woher kommt und wer weiß wohin geht.
»Ihre Kontonummer?«
Ich reiche ihm einen Zettel, auf dem ich die Nummer meines Schweizer Kontos notiert habe.
»Stückzinsen … Sie sind sehr vorsichtig, Herr Diver.«
»Anders geht es nicht … Peter.«
Da kapituliert er. Ich kenne seinen vollen Namen, er meinen aber nicht. Und die Bank wird ihn niemals rausrücken. Selbst wenn ein internationales Gericht mich zum Kannibalen erklärt und des Genozids für schuldig befindet.
Genau dafür drücke ich nämlich Stückzinsen ab.
Für hundertprozentige Sicherheit.
»Einverstanden, fünfzigtausend für jeden. Als Geste des Goodwills, Herr Diver!«
»Bestens.«
In den nächsten Sekunden werden auf meinem Konto einhunderttausend Dollar eintrudeln. Das ist viel Geld. Sehr viel.
Damit kann ich jahrelang ruhig und zufrieden in der virtuellen Welt leben.
»Sind Sie an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert?«
Ich hole mein Scheckheft heraus und betrachte voller Genuss die Zahl, bevor ich den Scheck über fünfzigtausend unterschreibe und ihn Roman gebe. »Schon möglich.«
»Und wie sieht es mit einer festen Stelle aus?«
»Nein.«
»Wovor haben Sie Angst, Diver?« Neugier spiegelt sich in Schöllerbachs Blick.
Wovor ich Angst habe?
»Vor Namen, Peter. Echte Freiheit setzt nun mal das Geheimnis voraus.«
»Verstehe«, erwidert Schöllerbach. Er sieht Roman an. »Sind Sie auch ein Diver? Oder nur eine wandelnde Virensammlung?«
»Ich bin auch ein Diver«, erklärt mein Partner.
»Also dann … viel Erfolg, die Herren.« Schöllerbach tritt vom Tisch weg, bleibt dann aber noch einmal stehen. »Sagen Sie … was braucht man, um Diver zu werden?«
»Nichts Besonderes«, antwortet Roman. »Man darf bloß nie vergessen, dass alles um einen herum ein Spiel ist. Fantasie.«
Schöllerbach
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