Lackschaden
disch net uff.«
Ich hätte hier noch irrsinnige Sexanregungen bekommen können, aber jetzt ist mein Vormittag gelaufen und ich kann mich der Haustür widmen.
»Ich komme mit dir rüber, Rudi. Ich reg mich nicht auf, du hast es ja gut gemeint«, behaupte ich schnell. »Geh schon mal vor, ich komme gleich nach!«
Natürlich rege ich mich auf. Und sobald ich das Elend sehe, wahrscheinlich noch mehr. Aber ich habe mich unter Kontrolle.
»Bleib ruhisch, isch versuch des zu rescheln, isch wollt disch net störn.«
Das liebe ich ja ganz besonders. Erst stören und dann sagen, dass man ja nicht stören will! So was geht mir auch bei meinen Kindern auf den Wecker. Zum Beispiel, wenn sie mich erst absichtlich nerven und sich dann dafür in einem Ton entschuldigen, als würden sie mich eine blöde Kuh nennen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich bin ich eine große Freundin von Entschuldigungen – aber dieses schnell dahingesagte, berechnende und nicht ernst gemeinte »Entschuldigung«, das mag ich nicht besonders.
Am liebsten würde ich Christoph anrufen und ihm sagen, dass er herkommen soll. Ist es mein oder sein Vater!?
»Soll isch hier uff disch warte?«, fragt Rudi noch mal nach.
»Ich komme sofort! Bewach lieber unser Zuhause!« Mit diesen Worten schicke ich Rudi heim. Seit Rudi bei uns wohnt, habe ich wirklich das Gefühl, noch ein Kind mehr zu haben. Ein Kind, das ganz besondere Aufmerksamkeit erfordert. Ein liebes Kind, das aber reichlich Zeit kostet.
»Isch geh ja schon!«, trollt sich Rudi.
»Ich muss leider gehen!«, teile ich meinen Freundinnen mit. Jetzt wissen alle über mein Sexleben Bescheid – über mein nicht existentes Sexleben. Ich hingegen bin mit meinem verfrühten Abgang auf Sekundärinformationen angewiesen. Von Jacky, Anna und Franzi weiß ich nämlich noch nichts. Ärgerlich. Hätte ich mit meiner Sexbeichte doch lieber noch ein bisschen gewartet. Die Peinlichkeit hätte ich mir ersparen können. Einerseits. Andererseits: Ist es wirklich peinlich keinen Sex zu haben? Oder sagen wir mal, sehr selten Sex zu haben? Geht es nicht Millionen von Paaren genauso? Erstaunlicherweise sind es mittlerweile oft die Männer, die nicht so recht wollen. Nicht jeder ist eben ein Tiger Woods.
»Pack dir doch noch ein bisschen Essen ein!«, fordert mich Anita auf. »Deine Familie freut sich doch, wenn sie mal was Leckeres bekommt!«
Wie so ein klitzekleines Wort einen ganzen Satz ruinieren kann. »Mal« was Leckeres. Was soll das denn bitte heißen? Meine Tochter würde sofort ihren neuen Lieblingssatz »Das geht ja gar nicht!« sagen. Mal was Leckeres. Ich bin keine Gourmetköchin, aber es ist auch nicht so, dass bei mir zu Hause alle darben. Was rege ich mich auf?! Kann mir doch komplett wurscht sein, was Anita von meinen Kochkünsten hält. Schließlich ist Kochen weder mein Beruf noch meine Passion. Trotzdem wurmt es mich, weil tief in mir drin auch eine Miss Perfekt steckt. Man will im Frauenwettbewerb, egal wie albern man ihn findet, doch gerne bestehen. Ich versuche seit Jahren, mich davon frei zu machen. Ich muss nicht die schlausten und begabtesten Kinder haben, die herrlichsten und kompliziertesten Essen zaubern können und auch nicht die Schlankste und Schönste sein. Aber wenigstens in einem Bereich ganz vorne zu sein, wäre insgeheim natürlich schon schön. Noch schöner wäre es allerdings, einfach drüber zu stehen. Stattdessen packe ich mir von Anitas Delikatessen ordentlich was ein. Man muss manchmal auch praktisch denken. Einmal Abendessen gespart. Ist doch auch was.
»Nimm dir einfach ein bisschen Alufolie und ein paar Tupperschälchen. Du weißt ja, wo alles steht!«, ruft mir Anita aus dem Esszimmer zu.
Während ich einpacke, fällt mir das silberne Schälchen mit den Themenzettelchen ins Auge. Die anderen sind beschäftigt, und ich bin neugierig. Also entfalte ich jeden einzelnen und staune. Es steht überall das Gleiche drauf. Da guck mal einer. Wieso nur wollte Anita unbedingt darüber reden? Letzter Sex? Letzter Sex? … Immer wieder: Letzter Sex? Seltsam. Aber wenn ich jetzt nachfrage, verrate ich mich selbst. Eine Patt-Situation. Also lasse ich das erst mal und verabschiede mich.
»Danke für den aufregenden Vormittag, danke fürs Essen. Macht’s gut.«
Ich wäre besser bei Anita geblieben. Bei mir zu Hause sieht es grauenvoll aus. Rudi hat den gesamten Werkzeugkasten ausgeleert und alles im Eingangsbereich verteilt.
»Isch musst mer erst ema en
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