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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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einem gastlich wirkenden Haus angeklopft und letztlich nicht eingelassen worden war, die Sehnsucht des Wanderers, der endlich einmal das Gefühl haben möchte, willkommen zu sein, und sei es in einer Gespensterhöhle.
    Und in sein Grauen vor den Gespenstern mischte sich ein urtiefer Hass auf das Normale, Ordentliche, Reinliche, das nichts anderes war als eine einzige, leere Versprechung. In ihm reckte sich etwas auf, wurde starr und hart. Oh nein, er wollte nicht mehr wie ein Bettler vor verschlossenen Türen stehen, lieber würde er ihre Türen zerstören. Lieber wollte er die Häuser der Ordentlichen anzünden und sich nehmen, was er brauchte und was er nicht brauchte, vernichten.
    Als Munda den Kandis herüberreichte, packte Sigi zu. Aber er fasste nicht nach dem Kandis, sondern nach ihrem Unterarm und zog. Munda wurde auf den Tisch gerissen, die Teekanne fiel vom Stövchen und zerbrach. Aber Sigi achtete nicht darauf. Die Härte seines Griffes, das Überraschende seines Übergriffs, der heiße Tee ließen Munda aufschreien, nur einmal. So hatte sie Sigi noch nie gesehen, so bösartig. Sie sahen sich über den Tisch hinweg an.
    Aber da war es auch schon vorbei. Sigi entspannte sich wieder. Sie sah es ihm an, dass er nicht noch einmal angreifen würde. An diesem Abend nicht. Es wurde im Weiteren ein sehr stiller Abend, der in schroffem Gegensatz zu dem Toben der Herbststürme stand, die über die Nordsee rasten.
    In den nächsten Tagen zog es Sigi immer wieder zu der Inselspitze, wobei der graue, leere Schildkrötenpanzer, der Bunker, aus dessen zerborstenem Beton sich die Eisenstäbe in den Himmel zu krallen schienen, sein eigentliches Ziel bildete. Munda ließ ihn schließlich nur noch allein gehen. Sie fühlte sich durch die Unstetigkeit seines Blickes und seiner Hände, die jedes Mal zunahm, wenn sie sich dem Bunker näherten, allzu sehr beunruhigt. Die Zeit ihres Urlaubs tröpfelte träge dahin, was für einen Urlaub eigentlich gut ist. Aber Munda erwischte sich dabei, dass sie Heimweh hatte.
    Am fünften Tag ihres Nordseeaufenthaltes blieb Sigi aus. Was Munda als ganz ungewöhnliches Zeichen wertete, denn Sigi hatte sich all die Jahre über als äußerst zuverlässig und pünktlich erwiesen. Munda hatte in ihrer Hütte den Abendbrottisch bereitet, und nun war Sigi nicht da.
    Offenbar hatte er eine dieser langen, einsamen Wanderungen angetreten, von denen er bis jetzt immer in sich gekehrt, aber relativ ruhig und gelassen zurückgekommen war. Diesmal kam er nicht. Als es auf 20.00 Uhr zuging, die Dunkelheit war längst eingebrochen, war er immer noch nicht zurück. Die alte Wanduhr, die sie wieder in Gang gesetzt hatten und die sie mit ihrem schönen Schlagwerk angenehm überrascht hatte, schien immer lauter zu ticken. Als die Uhr dröhnend achtmal schlug, beschloss Munda, Sigi zu suchen. Sie ließ alles auf dem Tisch stehen, damit sie später unverzüglich essen könnten, und trat vor das Haus. Der von der See her einfallende frische Wind schlug ihr den Atem in den Mund zurück. Munda erkannte sofort Sigis Spuren am Wellenrand. Es mussten Sigis Spuren sein, denn das wechselhafte kalte Wetter hatte ihre Einsamkeit verteidigt. Kein Tourist außer ihnen machte hier Urlaub.
    Die Spuren wiesen unverkennbar auf die Inselspitze, die im aufziehenden Nachtdunst nur noch schemenhaft zu erkennen war. Widerwillig machte Munda sich auf den Weg. Nachtwanderungen waren nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie stapfte durch den tiefen losen Sand zu den Dünungsstreifen . Wie dünne, hingeworfene Fäden verliefen Sigis Fußspuren nach Norden, bis der erste Dunststreifen sie verschluckte. Die aufbrausende Flut brüllte Munda an und zerspülte ihre Gedanken, so, wie sie alles einebnete und auflöste im Laufe der Zeit. Nach einer Stunde zügigen Gehens, in der es immer dunkler wurde und der Strand zunehmend nur noch vom Licht des Mondes erleuchtet wurde, der sich ab und zu hinter Wolkenfetzen hervor sehen ließ, hatte Munda den Punkt der Dünungslinie erreicht, der dem Bunker genau gegenüber lag.
    Von hier führten Sigis Spuren direkt vom Wellenrand aus in den Dünenhang. Mundas Widerwille nahm noch zu, als sie den Weg empor kletterte, den Sigi sich vor ihr in den weichen Sand des Hanges getrampelt hatte. Erst im Näherkommen zeigte sich deutlicher, wie groß der Bunker, dieser alte Zeuge sinnloser Gewalt, wirklich war. Dieses Bauwerk war böse, soweit Gebäude das überhaupt sein können. Seine Bosheit schlug Munda

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