Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
förmlich ins Gesicht, als sie vom Seewind geschoben stolpernd und rutschend den nachgebenden Sand unter ihre Füße stampfte und die erste Betonplattform erreichte.
Ihre Augen versuchten sich in diesem Gewirr von Gängen, Geschützständen und Überhängen zurechtzufinden. Die dunklen Löcher der Fenster und Eingänge schienen sie hinterhältig und abschätzig zu beobachten. Um nichts in der Welt würde sie das Innere dieses Baues betreten. Langsam und vorsichtig umrundete sie den Bunker im äußeren Laufgraben. Sie wurde immer wieder verunsichert von den Lauten des Windes, der sich in den Höhlungen und Winkeln zu ganz merkwürdigen Tönen gestaltete. Erst als sie zu der Plattform zurückgekommen war, erklomm sie die nächste, höhere Stufe des Bunkers, der wie eine Pyramide die Düne zum Himmel hin abschloss.
Dieses obere Stockwerk wies wesentlich mehr Zerstörungen auf, als das untere. Munda direkt gegenüber verlor sich ein schräg ins Innere führender Schacht in undurchdringliche Dunkelheit. Aus diesem Schacht drangen scharrende monotone Geräusche, die das Geheul des Windes durchdrangen. Sigi kam.
Munda konnte ihn noch nicht sehen, aber sie blieb wie gebannt am äußeren Rand dieser zweiten Plattform stehen, ihre Augen unverwandt auf das dunkle Viereck gerichtet. In diesem Augenblick riss der Sturmhimmel auf, ließ eine fast volle Mondscheibe frei, die ihr fahles Licht über die große Erde ergoss und auch der winzigen Munda ermöglichte, ein wenig weiter in das dunkle Viereck hineinzusehen.
Dort stand Sigi unbeweglich. Ein Lachen war in seinem Gesicht festgefroren und ließ das Weiß seiner Zähne frei. Munda zuckte zusammen, und erst in diesem Augenblick erkannte sie, dass Sigi nicht allein war. Schräg hinter ihm stand SIE und sah Munda mit ihrem zerfallenden Blick abschätzend an. Aus Mundas Blickwinkel wirkte es, als stünden die beiden wie ein Paar nebeneinander, der schmale zartgliedrige Sigi und diese Frau, schwer und massiv. Ihre Haut schien von einer schrecklichen Krankheit befallen zu sein und an einigen Stellen weißschorfig abzublättern. Ihre schwarzen Haare wurden vom Dunkel des Gewölbes geradezu aufgesaugt, so dass sie wie kahlköpfig wirkte. Das Rot ihrer Lippen klaffte im Weiß ihres Gesichtes wie eine offene Wunde. Jetzt trat sie mit hektischem, schrillem Lachen direkt neben Sigi, umarmte ihn, drückte ihre Lippen auf seine Wange. Und wenn Mundas überreizte Nerven sie nicht narrten, blieb dort ein Abdruck zurück, der bestimmt nicht nur aus Lippenstift bestand.
Sigi drehte seinen Kopf, sah die Frau an und sein Blick drückte soviel vernarrte Hingebung für diese Frau aus, dass es Munda traf wie ein Messer in den Bauch. Vor allem auch, weil sie für diese Frau nur Ekel empfinden konnte. Munda nahm das Ungesunde an der Frau wahr, diese unglaublich bedrückende Morbidität. Der Geruch der Frau erinnerte an süßlich verwelkende Grabblumen und drang bis zu Munda hinüber.
Die Frau lachte noch einmal schrill auf, dann streckte sie Munda ihre Hand entgegen. Obwohl alles in Munda schrie, jetzt doch lieber sofort davonzulaufen, fasste sie zu. Wider Erwarten fühlte sich die Hand der Frau trocken und hart an. In dem Augenblick, als sie den Druck ihrer Hand spürte, veränderte sich die Frau in Mundas Augen wesentlich. Aber Munda hatte keine Zeit, sich analytische Gedanken über diesen unerklärlichen Vorgang zu machen. Sie fühlte sich plötzlich mitgerissen und hingerissen. Das schrille Lachen der Frau klang betäubend in ihren Ohren. Die Wände des Bunkers erstrahlten schlagartig in blendendem Weiß.
Die Gänge erweiterten sich. Die Frau riss Sigi und Munda mit in einen großen, hallenartigen Raum. Die Luft brannte heiß und stickig in Mundas Lungen. Es roch wie in einem Terrarium.
Munda fühlte, wie die Frau neben ihr einen Arm um ihre Hüfte schlang, sie an sich zog, so dass Munda ihren Körper fühlte. Und seltsam, dieser beherrschende Ekel, der sie anfänglich erfüllt hatte, war verschwunden. Ein ganz anderes Gefühl begann sich in sie einzuschleichen. Munda begann zu ahnen, dass es Sigi genauso ergangen war.
Sie standen währenddessen auf einem sehr seltsamen Teppich. Muster, die Gesichtern, Augen, Nasen, Mündern ähnelten, schienen auf geheimnisvolle Weise zu leben. Munda fühlte die Bewegungen unter ihren Füßen. Noch einmal schrie die Vernunft in ihr auf, all das, was Frau und Mann lernten über Sauberkeit, über Geradlinigkeit, über die ehernen Grundgesetze, wie die Welt zu
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