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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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hinter dem Wald versunken. Immer schon hatte es mich gereizt, mir vorzustellen, dass ich der einzige in diesem kleinen Ort sei, der sich um diese Zeit noch so intensiver und konzentrierter Beschäftigung hingab. Alle anderen schliefen oder waren kurz davor. Diese Vorstellung gab mir das Gefühl von exklusiver Erlesenheit dessen, was ich da schaffte. Es half, dieses Gefühl zu bekämpfen, das mir zuflüsterte, ich sei einfach nur ein bisschen blöde, mir Nacht für Nacht um solcher geringen Ergebnisse willen um die Ohren zu schlagen, und ich solle doch besser ins Bett gehen. Bei meinen großen, massenhypnotischen Aufführungen trat ich ja meistens nur tagsüber in Aktion seltener abends. Nachts konnte ich in der Regel in Ruhe schlafen. Aber das war nun vorbei. Ich hatte mit diesen großen hypnotischen Auftritten unglaublichen Erfolg gehabt. Ich finde noch heute: Es ist wichtig, rechtzeitig Schluss zu machen, weil sonst das eigene kleine Ich anfängt, sich aufzublasen und sich nicht mehr aus dem Urgrund zu nähren, aus dem die Erkenntnis der Wahrheit fließt, sondern aus der flüchtigen Energie des momentanen Erfolges. Zu viele gescheiterte Magier säumen den Weg der reinen alchimistischen Erkenntnis. Zu viele - und beileibe nicht etwa die Schwächsten - wurden und werden verrückt und krank, süchtig oder irre, verlieren sich auf unwichtigen Nebenpfaden. Und immer steht am Anfang einer solchen verhängnisvollen Sackgasse ein betörender publikumswirksamer Erfolg.
    Geld hatte ich derweil auch genug. Somit lag Goldstaub auf meinen Schultern, Zeichen des Erfolges, die so oft mit Charisma verwechselt werden. Und gerade mit dieser erprobten Anziehungskraft erlebte ich den Zwiespalt, in den mich der Erfolg immer wieder warf, besonders deutlich. Mit dem Goldstaub auf den Schultern wurde ich nicht als Marvin geliebt, als der Mensch, der ich war. Ich wurde als der Magier Marvin geliebt, der wundersame Dinge tat. Mehr noch aber wurde ich gefürchtet. Jedenfalls war ich Magier, dessen Macht man respektiert. Aber seine Freunde suchte man sich in anderen Kreisen.
    Gefürchtet zu sein allerdings war immerhin besser, als eine lächerliche Figur abzugeben. So geschah es etwa der Madame Blavatsky, als sich herausstellte, dass die Wunderzettel, die Wundervögel, die Wunderblumen, die während ihrer Vorstellungen auf die Gläubigen herabzuregnen pflegten, ihren Weg zum Wunder durch einen schnöden Spalt in der Decke und einen allzu gehorsamen Schüler fanden.
    Die Geräusche der winzigen kleinen Motoren, die die schweren Spiegel bewegten, wurden jetzt intensiver. Sie gingen in einen sehr schrillen, unangenehmen Ton über. Ich wandte mich um, aber ich sah auf einen Blick, dass es noch Zeit war. Die richtige Einstellung der Spiegel war noch nicht erreicht.
    Meine Gedanken schweiften wieder ab. Es ist schon ein seltsames Gefühl, Frauen dahinschmelzen zu sehen und genau zu spüren, sie schmelzen jetzt nicht vor Marvin dahin, sondern vor der imaginären Kraft des Erfolges, vor der Macht. Sie schmelzen also dahin, weil sie sich einbilden, einen Riesen erobert zu haben. Sie beten im Grunde ihre eigene Eroberungskraft an. Aber im Ernst, was sollte ich mit dahin geschmolzenen Frauen anfangen?
    Ich sah auf die silbern glänzende Landschaft, atmete den morbiden Hauch des Herbstes tief ein und bestätigte mir endgültig, dass meine Entscheidung die einzig richtige gewesen war: Schluss mit den hypnotischen Experimenten, die eigentlich nur ein spektakuläres Anzapfen von Massenenergien sind. Zurück zu den wichtigen Aufgaben, der alchimistischen Forschung.
    Aber einen kurzen Augenblick noch verweilten meine Gedanken bei Louisa, meiner Frau, die immer meine Inspiration gewesen war. Vielleicht war es der Silberhauch auf dem Land, der meine Gedanken in ihre Richtung hin verführte, meiner ersten und einzigen Liebe.
    Nein, bleiben wir ehrlich. Meine erste Liebe war die Magie. Und die Frage, für wen ich mich entscheiden würde, wenn ich wählen müsste zwischen der Magie und Louisa, verdrängte ich schnell wieder aus meinem Hirn, denn ich fürchtete die Eifersucht beider. Ganz sicher könnte ich auf keine verzichten, verzaubert haben sie mich beide. Louisa schlief jetzt bestimmt schon. Sie schlief immer recht früh. Vielleicht hatte sie gerade ihr gutes Verhältnis zum Schlaf so gesund erhalten. Sie wirkte jedenfalls immer so jung und sauber mit ihrem hellen Haar und besonders mit ihren hellen Augen.
    Ich wendete mich vom Fenster ab und dem großen

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