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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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Holztisch zu, der genau in der Mitte des einzigen Raumes in meiner Waldhütte stand.
    Seine Länge maß runde zwei Meter, seine Breite in etwa die Hälfte. Auf ihm waren eine brennende Kerze und der Steuercomputer placiert. An den Wänden, einander gegenüber, hatte ich die Spiegel montiert. Sie richteten sich nanosekundenweise so ein, bis sie absolut parallel standen.
    Ich erinnerte mich an den Magier John Dee, durch dessen Werke ich überhaupt auf die Spiegelmagie aufmerksam gemacht wurde. Auch sein Leben bildete ein Beispiel, das Adepten der Magie zur Vorsicht mahnen sollte. Zum einen fand sich Dee am Ende seines Lebens in erdrückender Armut auf dem Schutthaufen seiner gescheiterten Pläne hingeschmettert, die ja immerhin bis dahin reichten, dass er der Gemahl seiner Königin Elisabeth werden wollte, was ihm weder im alchimistischen Sinne, geschweige denn im gesetzlichen Sinne gelang. Sein Lebensende fand im Dunkeln statt. Er verelendete in der Situation des ehemals erfolgreichen Schauspielers, der nach Erfolg süchtig wird und schließlich alles verliert. Zum anderen verließen ihn die bösen Geister, die er rief, nicht mehr. Seine verhängnisvolle Verbindung mit dem verbrecherischen Medium Edward Kelley löste er zwar äußerlich, die schrecklichen Gesichte, die ihm diese Kooperation neben eitler Goldmacherei einbrachte, verfolgten ihn bis in die Hölle. Aber dem Weg der Spiegel, den er schon in seiner Jugend fand und der ihm so manches hellsichtige Erlebnis bescherte, hätte er vertrauensvoller folgen können, jedenfalls vertrauensvoller, als den späteren obskuren Vorhersagen tumber Scharlatane. Mir erscheint dieser Weg immer noch interessant genug, ihn zu Ende zu gehen.
    Was Cartesius (René Descartes, 1596-1650) präzise, aber recht flach im Brechungsgesetz 1632 wissenschaftlich handhabbar ausformulierte, erfasste John Dee intuitiv wesentlich früher und tiefsinniger. Etwa um 1550 herum wurde er auf das Phänomen aufmerksam, über das sich schon wesentlich klügere Menschen und sehr viel früher (Ptolemäus und später Kepler) den Kopf zerbrochen hatten. Wenn man zwei Spiegel einander gegenüberstellt, bilden sie einander unendlich oft ab. Jedenfalls müssten sie es, weil der Weg des Lichtes in ihnen eine Totalreflexion durchläuft. Aber in der Praxis geschieht es anders. Wenn man genau hinsieht, wird man erkennen, dass die kaum zu zählenden Bilder schließlich in ein dunkelgrünes Etwas übergehen, obwohl sie eigentlich weitere Abbildungen zeigen müssten.
    Dee prüfte diese Erscheinung, indem er in seinem Haus in Wales zwei riesige Spiegel an gegenüberliegenden Wänden montierte und sich selbst auf einen Stuhl zwischen sie setzte. Vor seine Füße stellte er eine Kerze auf. Und nun konnte er es genau beobachten: Wohl hundert Mal wurde das Licht der Kerze reflektiert, aber dann verschwand es in einer dunkelgrünen Fluoreszens, die bei längerem Betrachten sogar zu leuchten begann. Dee fragte sich: Wohin verschwand das Licht? Ein Spiegel ist ja nicht etwa mit Wasser zu vergleichen, mit dem später Cartesius seine optischen Versuche machte. Ein Spiegel ist eine Fläche, in die nichts eindringt. Genau das macht sie zum Spiegel. Dee experimentierte mit polierten Silberflächen und später mit schwarzem Glas. Da ist einfach nichts zum Eindringen. Aber wenn das Licht verschwindet, muss da ein Loch sein, ein Fluchtweg für das Licht. Was lag für Dee, der sich schon früh mit Gedanken an eine andere Dimension beschäftigte, näher, als im Spiegel eine Tür in eine andere Welt zu sehen? Eine Welt, in der die allumfassende Weisheit wohnt, bewacht von schrecklichsten Dämonen.
    Dee gönnte sich bei der Suche nach dem verschwundenen Licht nur noch wenig Schlaf. Ob das die Folge seiner Leidenschaft war, mit der er seine Kunst betrieb oder ob er sich willkürlich in eine mediale Gemütslage versetzen konnte, ist heute nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen. Als seine Spiegelexperimente ihren Höhepunkt erreichten, zerrütteten sie seine Nerven derart, dass er notwendig hätte tun müssen, was der Weg des Magiers in solchen Fällen vorschreibt. Er hätte sich in den Bauch der Erde, zur Quelle allen Lebens zurückziehen sollen, voller Vertrauen auf die Eingebung, die dort sicher schon auf ihn gewartet hätte. Nur die Ruhe in der Erde hätte seinen schmählichen Ehrgeiz aufhalten können, der dabei war, ihn zu zerstören, so wie ein irrer Reiter sein Pferd zu Tode hetzt. Stattdessen gab sich Dee, um den Weg der Erkenntnis

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