Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Künstlername, ich heiße wirklich so. Wer, um alles in der Welt, war Günter? Aufgeregt, wie ich war, aber auch vom dunkleren Teil meines Herzens bestätigt, legte ich mich neben Louisa ins Bett und schlief erst Stunden später ein.
3. September
Am Morgen erwachte ich mit schweren Kopfschmerzen. Nur zögernd kamen mir die Erinnerungen an die Geschehnisse der Nacht zurück. Als ich Louisa beim Kaffee gegenübersaß, fragte ich sie geradeheraus: "Wer ist Günter?"
Erstaunt blickte Louisa mich an. "Habe ich Dir schon von ihm erzählt? Wir haben einen neuen ersten Kassierer in der Bank. Der heißt Günter." Sie bekam ganz runde Augen, als sie fortfuhr: "Er ist ein sehr interessanter Mann. Gestern Abend hat er mich zum Essen eingeladen. Und weil ich wusste, dass du ja erst spät nach Hause kommst, habe ich zugesagt."
Mein Kaffee schmeckte plötzlich sehr bitter. "Er ist also ein Arbeitskollege von dir", sagte ich vorsichtig.
Louisa bestätigte: "Er ist ein Arbeitskollege." Sie bekam wieder diese runden Augen. "Aber er ist so entgegenkommend und nett, dass ich hoffe, er wird für mich einmal etwas mehr als ein Arbeitskollege sein."
"Und an was hast du bei diesem 'Etwas mehr' gedacht?" frage ich in spitzem Ton.
Sofort war Louisa eingeschnappt. "Das habe ich doch geahnt, dass dir das nicht passt. Hätte ich nur nicht von Günter gesprochen."
"Du hast ihn schon heute Nacht erwähnt. Seinen Namen hast du im Schlaf ausgesprochen", entgegnete ich.
"Bist du eifersüchtig auf ihn?", fragte Louisa mit leichtem Spott in der Stimme.
"Es wird sich zeigen, ob ich Grund dazu habe", versetzte ich und versuchte die Haltung zu wahren. Aber das war mir unmöglich: "Vielleicht bin ich eifersüchtig, ich weiß es nicht. Ich hatte ja noch nie die Gelegenheit, dieses Gefühl zu fühlen. Aber in mir macht sich jedenfalls der starke Eindruck breit, dass es besser ist, wenn du diesen Typen nicht näher kennenlernst."
"Für wen besser?", fragte Louisa mit schneidender Stimme.
"Mindestens für mich besser. Bin ich dir das nicht wert?" , wollte ich wissen.
"Ich weiß nur eines", sagte Louisa. "Mach mir das jetzt nicht kaputt, du würdest es bereuen."
Mir blieb die Spucke weg, mein Herz hämmerte wie verrückt in meiner Brust, mein Magen schmerzte, als hätte ich Gift geschluckt. Louisa erpresste mich oder mindestens drohte sie mir!
Am Abend arbeitete ich in meiner Waldhütte mit den Spiegeln weiter. Es formte sich eine seltsame Vision ab. Louisa liebte einen fremden Mann und verlangte von mir, dabei zuzusehen. Es widerte mich entsetzlich an. Was wollte mir dieser verdammte Spiegel sagen. Und ganz im Hintergrund kam die Erinnerung an das Märchen Schneewittchen in mir hoch. Da hatte die böse Königin doch auch immer einen Spiegel gefragt. Es war nicht gut ausgegangen, oder? Die böse Königin musste am Ende in glühend heißen Eisenpantoffeln tanzen, bis sie tot umfiel.
Die Arbeit wurde hart für mich. Zum einen wurde ich den Gedanken an mein gefährdetes Glück nicht mehr los. Und irgendwie erschien mir die seherische Arbeit, die ich leistete, zunehmend unehrlicher. Sie war jetzt dermaßen subjektiv zentriert, dass meine eigene, kleine, kleinlich eifersüchtige Problematik den ganzen Erdkreis auszufüllen schien. Ich hätte gerne wie Jane Dixon so etwas wie die Kennedy-Morde vorhergesagt oder das Ende des Golfkrieges. Stattdessen kamen mir Bettszenen ins Bild, die nur eine Welt bewegen konnten, nämlich meine eigene.
Ich saß zwischen den zwei Spiegeln und versuchte, meine Seele einigermaßen klar zu halten, um möglichst reine Bilder empfangen zu können. Aber immer wieder schob sich Louisa mehr oder weniger verschlüsselt in die seherischen Botschaften hinein. Sollte ich das Projekt verschieben? Aber das ging doch nicht. Ich kam mir vor wie ein Tiger im Sprung: Nicht mehr aufzuhalten. Was war ich wütend! Dass Louisa sich gerade diesen Zeitpunkt meines großen Werkes für ihr Spiel ausgesucht hatte!
Und was war ich voll schlechten Gewissens, wenn ich an die Freiheiten dachte, die ich mir selbst gegenüber anderen Frauen gestattet hatte! Speziell diese kleinen erfrischenden Arrangements mit Barbara, der dunklen Rätselhaften, die mir mit ihrer naiven Bewunderung soviel Spaß gemacht hatte. Für Vorwürfe gegenüber Louisa war da kein Raum, zumal mir die Rolle des Moralisten wahrlich nicht lag. Was, zum Teufel, aber war das für ein Schmerz in mir, ausgerechnet in mir, der ich doch Louisa jeden Spaß von Herzen
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