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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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weil er das Arbeitsamt nicht mochte. Das Arbeitsamt mochte ihn auch nicht. Ein Dichter war ja nicht vermittelbar, und als etwas anderes wollte er nicht arbeiten. Beim Sozialamt war er schon am Anfang des Monats gewesen. Dort hatte er bis zum nächsten Monat auch nichts mehr zu erwarten.
    Vor dem Bahnhof stand eine Riesenreihe Taxen, bereit, die aufzunehmen, die das Geld hatten, sich fahren zu lassen. Wilfried schlurfte an den Taxen vorbei und traf auf eine Zeile Telefonzellen. Aufgeregte und lustige Menschen standen darin. Wen könnte er anrufen?
    Seine Eltern?
    Die würden doch nur wieder die Platte mit den Vorwürfen abspielen lassen.
    Angela?
    Das ließ sein Stolz nicht zu. Vielleicht würde er sich trauen, wenn er endlich ein erfolgreicher Autor geworden wäre, aber vorher sicher nicht.
    Wir sind immer für Sie da. Wilfried kramte nach der Anzeige. Er hatte auch jemanden zum Anrufen. Schon während Wilfried jetzt die Nummer wählte, spürte er diese bekannte Aufregung in sich hochsteigen. Es war fast wie vor zwei Wochen, als er Angela in der Bank anrief, um ihr zu sagen, dass er sie nie mehr wieder sehen wollte. Ihr Leben mit der Bank und sein Leben als Dichter passten einfach nicht zusammen. Dabei hatte er dieses Kribbeln im Magen gespürt. Es war das gleiche wie heute. Offenbar zeigt es Wilfried an, dass etwas Neues seinen Lauf nahm.
    Drei Mal ging jetzt das Freizeichen. Dann meldete sich eine freundliche, junge Männerstimme: "Verein für ethische Erneuerung und Lebensglück. Hier spricht Frank. Schön, dass Du anrufst."
    Wilfried wurde siedendheiß klar, dass er sich nicht überlegt hatte, was er sagen wollte. Er schwieg, räusperte sich umständlich.
    "Also, ähh, ich habe Eure Anzeige gelesen", versuchte Wilfried.
    "Und dann hast du dir überlegt, da rufe ich mal an", sagte Frank.
    "Ja, genau!", sagte Wilfried, dankbar, dass Frank auf ihn einging.
    "Möchtest du etwas über die Weichen in deinem Leben wissen?" , tastete Frank.
    "Ja... also..., mir geht es im Moment ziemlich beschissen. Ich brauche mal jemanden, mit dem ich mich so richtig ausquatschen kann", sagte Wilfried.
    "Hast du Lust, 'mal vorbeizukommen?"; fragte Frank.
    "Ja, klar", versicherte Wilfried, "wenn es nicht zu weit ist."
    "Wo bist Du jetzt gerade?"; fragte Frank
    "Am Bahnhof", antwortete Wilfried.
    "Du findest uns in der Gütersloher Straße 144. Das ist höchstens zehn Minuten vom Bahnhof entfernt", erklärte Frank. "Heute Nachmittag um 17 Uhr haben wir Kontakttreff. Hast du dann Zeit?"
    "Ist gut. Ich komme vorbei. Also, bis dann", sagte Wilfried.
    "Wir sehen uns", erwiderte Frank und hängte ein.
    Wie im Traum hängte auch Wilfried den Hörer ein. Er hatte gerade einen Kontrakt geschlossen. Gütersloher Straße 144. Kurz überlegte er, ob er Angela anrufen sollte, ihr Bescheid sagen, ihr irgendwie zu verstehen geben, dass er an seiner Situation arbeitete, ganz lässig sagen: Ich hab` da gerade was völlig Neues aufgerissen... Angela war zu nüchtern für sowas. Sie würde ihm mit einem Wort alle Freude nehmen. Nein, nein! Die Zeit des Teilens war vorbei. Er wollte sein Glück in die eigenen Hände nehmen.
    In nichts unterschied sich die Gegend um die Gütersloher Straße herum von seiner eigenen Wohngegend. Nur dass etliche alte Bahngeleise hindurchführten. Das Haus Nr. 144 gewährte an seiner Rückseite den Zugang zu zerfallenden Speichern und ehemals rührig genutzten Werkhallen. An der brüchigen Vorderfront leuchtete sauber und ordentlich ein Schild, auf dem in blumig verzierten Buchstaben: "Verein für Ethische Erneuerung und Lebensglück e.V." stand. Eine Haustür gab es offenbar nicht, und Wilfried trat zögernd und unsicher in den dunklen Flur. Eine freundliche Stimme klang ihm entgegen, treppenflurhall verstärkt:
    "Du hast noch einen Augenblick Zeit. Komm ruhig solange herein. Dann warten wir zusammen, bis es anfängt. Es ist noch nicht ganz 17 Uhr."
    Die Stimme klang warm und freundlich.
    Wilfried trat vorsichtig weiter in den Flur und erkannte auf dem unteren Absatz der Treppe drei oder vier Sperrmüllsessel. In einem von ihnen saß eine junge Frau, wohl noch eher ein Mädchen, die schlanken Beine jeansbezogen, eine weite Graffitijacke über ein weißes T -Shirt geworfen. Wirr geschnittene dunkle Haare konnten die hübschen Linien des Gesichtes nicht zerstören. Sie lächelte, streckte Wilfried die Hand entgegen und zog ihn in den Sessel neben sich. Das fing gut an.
    "Ich bin Sigrid", sagte sie. "Und Du? Bist Du zum ersten

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