Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
Ratlosigkeit und die Scheu vor Unbekanntem gaben keine festen Trittsteine ab auf dem Weg eines Sonnenpriesters. Ja, selbst die feine Annäherung an Saric, die leichte Verwischung von Rangunterschieden kam ihn im Nachhinein wie ein Fehler vor, der seiner Schwäche geschuldet war. So wenig Selbstsicherheit besaß er, dass wenige Tage im Mittelpunkt der Verehrung, die doch nur äußerer Schein war, ihn wieder in die Gefilde des Hochmuts zurückschleuderten.
Gegen Ende des Fruchtmondes saß er in seinem Zimmer und starrte die nutzlosen Schriften an, die, von Saric säuberlich aufgestapelt, ihn immer noch an verlorene Zeit erinnerten. Die genossene Abwechslung wurde ihm nun zur Bürde. Öder als zuvor erschienen ihm die Tage, die Zukunft düsterer. Zum wiederholten Male fragte er sich, weshalb gerade er von den Priestern auserwählt worden war, diesen Prinzen zu suchen. Angeblich hatten sie den Grund dafür in den Sternen und den Schriften gelesen. Aber ebenso gut konnten sie etwas gegen ihn im Schilde führen. Vielleicht war er nicht so klug, wie er glaubte – einfältig gar? Stolz auf seine Schönheit, stolz auf sein Gewand, aber hohl im Kopf. Vielleicht brauchten sie nur einen Trottel, dem es schmeichelte, auserwählt zu sein, und der ihnen die Kastanien aus Razoreths Feuer holte?
Daher kam es ihm gerade recht, als Saric ihn sprechen wollte. Höflich und respektvoll war er noch immer, aber seine Unterwürfigkeit hatte er abgelegt. Nach dem Gongschlag trat er ins Zimmer und setzte sich ohne Umschweife auf den Hocker, den er vorausschauend in der Nähe hatte stehen lassen. Jaryn nahm es halb belustigt als Zeichen ihres neuen Einvernehmens. Er war neugierig, was Saric zu berichten hatte.
Wie immer war Sarics Miene undurchsichtig. »Ich habe mit meinem Onkel gesprochen. Er meinte, es gebe etliche Frauen am Hofe, die entbunden hätten, Jungen und Mädchen. Doch keines davon sei ein Kind des Königs gewesen. Ich habe die Liste ihrer Namen dabei.« Saric nahm eine kleine Schriftrolle aus der Rocktasche und legte sie vor Jaryn hin. »Ihr mögt die Namen überprüfen lassen, jedoch vermute ich, dass Ihr nach einem Kind sucht, von dem niemand etwas weiß?«
Jaryn nickte enttäuscht. Er nahm die Namensliste, überflog sie und überlegte, ob er Saric noch tiefer einweihen durfte. Wenn ich mich ganz und gar bedeckt halte, werde ich diesen Menschen niemals finden, dachte er grimmig und sagte: »Du hast recht. Genau gesagt suche ich nach einem unbekannten Sohn des Königs.«
Saric wirkte nicht überrascht. »Mein Onkel vermutete dies. Doch er sagte, das sei ausgeschlossen, weil Söhne des Königs, die ihm von Konkubinen geboren werden, ohne Ausnahme umgebracht werden. Seines Wissens sei das ein paarmal vorgekommen.« Saric zuckte die Achseln. »Die Mutter wurde gleich mit geopfert. So war es leider. Aber verzeiht, mir steht hier keine Meinung zu.«
»Du hast völlig recht, Saric«, erwiderte Jaryn zerstreut, denn eine Hoffnung war soeben gestorben. »Es ist grausam und ungerecht, aber das bleibt unter uns. Dass der König diese Kinder töten ließ, war mir bereits bekannt. Ich hatte gehofft – aber so ist auch diese Spur kalt. Wenn nicht einmal dein Onkel von so einem Kind weiß, wo soll ich dann beginnen?«
»Sollte wirklich ein Sohn Dorons leben, so wäre das für manche gefährlich. Vor allem für Gaidaron, den Neffen des Königs. Da der König keine Nachkommen hat, wird er den Thron erben. Er würde einen Rivalen nicht am Leben lassen.«
»Gaidaron? Lebt er am Hofe?«
»Nein, er ist ein Mondpriester.«
»Ach!« Jaryns Herz klopfte rascher. Hatte er das Böse nicht längst dort vermutet? Konnte Gaidaron der Gesuchte sein? Kein Prinz, aber der Thronfolger. Vielleicht machte der Fluch da keinen Unterschied?
»Seid Ihr sicher, dass es einen Sohn Dorons geben muss, Herr?«
»Ja. Der weise Anamarna von Kurdur hat es mir selbst gesagt. Aber er weiß weder, wer er ist, noch wo er sich aufhält. Gaidaron – vielleicht ist er es, den ich suche?«
»Seine Herkunft ist kein Geheimnis. Er ist der Sohn Salimans und dessen Frau Onya. Saliman war, wie Ihr wisst, ein Bruder des Königs. Er verstarb, aber seine Frau lebt noch.«
»Wenn ich ihm begegne, werde ich die Verbundenheit spüren«, murmelte Jaryn. Er sah Saric an. »Danke für die Auskünfte. Lass mich jetzt allein.«
Saric zögerte. »Da ist noch etwas, vielleicht unbedeutend und ebenfalls nutzlos, aber mein Onkel meinte, um ganz sicher zu gehen, müsse man bei den
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