Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
Straßenstaub gepudert, marschierte Jaryn auf vertrauter Straße. Er durchquerte Caschu, verließ hier den bekannten Pfad und wandte sich gen Osten, wo er hoffte, am Abend Carneth zu erreichen.
Vieles, was ihm bei seinem ersten Gang beschwerlich, lästig oder merkwürdig vorgekommen war, drückte ihn nicht mehr. Seit er vor Rastafan im fauligen Stroh gekniet hatte, wusste er Schmutz zu ertragen. Auch die Kleidung eines einfachen Bauern ertrug er mit Gleichmut. In einen Köhler und einen Zylonen war er bereits geschlüpft und nicht davon erstickt. Manchmal wunderte er sich selbst über seine Veränderung. War es das Wasser von Kurdur, oder war es das Erlebnis mit Rastafan gewesen? Gern hätte er seine Wandlung dem Wasser zugeschrieben, aber er wusste, es war seine erste Begegnung mit Gewalt, Hilflosigkeit und Wollust gewesen. Damals in den Rabenhügeln war etwas in ihm zerbrochen, aber nichts Wertvolles. Sein eisiger Panzer aus Hochmut und Dünkel hatte Risse bekommen, und im Kerker, so schien es Jaryn, war er ganz und gar in Stücke zerfallen.
Oft grübelte er darüber nach, wie er sich ohne diesen Panzer fühlte. Befreit oder nackt? Angreifbar oder gestärkt? Mal schien ihm das eine, mal das andere zuzutreffen. Und zuweilen glaubte er, die alte Eisschicht bilde sich wieder. Es gab Tage, an denen er das begrüßte. Doch jetzt auf seiner Wanderung behinderte sie ihn. Anders als damals verkrochen sich die Leute, die ihm entgegenkamen, nicht in den Büschen. Sie grüßten freundlich, und Jaryn, daran nicht gewöhnt, hatte seinen Blick starr geradeaus gerichtet, keinen ihrer Grüße erwidert. Landvolk hatte er bisher als Schatten am Rande seines Gesichtsfeldes wahrgenommen. Es dauerte eine geraume Weile, bis er sich besann, dass die anderen auch nur einen Bauern in ihm sahen und er, wollte er sich nicht verdächtig machen, die Grüße erwidern musste. Bald fiel ihm auch das nicht mehr schwer. Es war sogar sehr leicht und angenehm. Dennoch verwirrte es ihn, dass er sich unter dem niederen Volk so frei und ungezwungen fühlte. Gut, die Verkleidung war notwendig, aber hätte er nicht Scham und Widerwillen im Herzen empfinden müssen? Hatte Rastafan ihn so weit aus der Bahn geschleudert? Aus einem Leben, das er nun schon über zehn Jahre führte?
Es war schon dunkel, als er die ersten Häuser von Carneth erreichte. Hinter dem Dorf erhob sich wie eine dunkle Wand der Rabenhügler Wald. Doch diesmal musste Jaryn ihn nicht durchqueren. Er wanderte die stille Dorfstraße entlang und musterte die Häuser, aus deren mit Stoff oder dünnem Pergament verhängten Fenstern gelber Lichtschein fiel. Er überlegte noch, wo er anklopfen sollte, als er aus einem Haus Stimmengewirr und Gelächter hörte. Vor dem Eingang baumelte eine Laterne, die einen schwachen Lichtkreis auf die solide Tür aus Eichenholz warf. Sie erschien Jaryn wie eine Einladung. Im Innern schien es fröhlich zuzugehen, hier konnte ihm der eine oder andere wohl Auskunft geben und auch ein Nachtlager für ihn wissen.
Er trat ein. Jaryn war noch nie in einem Wirtshaus gewesen, auch nicht in Margan. Solche Orte musste ein Sonnenpriester meiden. Wärme schlug ihm entgegen, stickige Luft, Bierdunst, Schweiß und der Geruch nach Essen. Der Raum war voller Menschen, sie saßen an grob gezimmerten Tischen und Bänken, aßen, tranken und unterhielten sich. Sie schienen sich alle zu kennen, knufften sich, lachten, schimpften und riefen der drallen Schankmagd unanständige Bemerkungen hinterher.
Unschlüssig blieb Jaryn an der Tür stehen, wusste nichts mit den vielen Menschen auf einem Haufen anzufangen. Er fühlte sich fremd, ausgeschlossen. Er gehörte nicht zu ihnen, aber er musste so tun, als sei er ihresgleichen. Die Schankmagd hatte ihn schon erspäht. Sie kam auf ihn zu. »Willkommen bei Mariella in der Rabenhöhle, Fremder. Nur nicht so schüchtern und herein mit dir. Hast wohl einen langen Weg hinter dir? Und dunkel ist es auch schon. Komm, da drüben ist noch ein Platz frei.« Sie packte Jaryn einfach beim Ärmel und zog ihn mit sich. Jaryn zuckte zusammen bei der Berührung. Immer noch, und das ärgerte ihn. Mariella brachte ihn zu einem Tisch, an dem bereits zwei Männer saßen. »Hier, nimm Platz. Das sind Elric und Tamor, zwei Brüder und gar nicht rauflustig, was man nicht von allen hier sagen kann. Viele fordern einen Fremden gern heraus.« Sie lachte, und Jaryn setzte sich verwirrt. Die beiden Brüder nickten ihm zu. Schmale, blasse Burschen, hager und mit
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