Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
zurückkehrte, dann würde sie ihn wie einen Sieger empfangen. Aber bei Jaryn hätte er verloren. Dabei wollte er sich ihm gegenüber überlegen fühlen, das Spiel bestimmen und von ihm bewundert werden. So wie damals in den Rabenhügeln, als der heilige Sonnenpriester sich ihm unterwerfen musste und die Gewalttat sogar genossen hatte. Rastafan hatte diese verhasste Kluft zwischen ihnen mit Stärke und männlicher Lust überwinden wollen, doch nun hatte er sie noch erweitert. Konnte er sie wieder schließen? Aber wie? Wäre es nicht um das Gold gegangen, hätte er Jaryn den Gefallen mit den Knaben getan, warum auch nicht? Aber das Gold musste mit Lacunar geteilt werden. Niemand hätte noch einen Funken Respekt vor ihm, wenn er es fahren lassen würde für die Umarmung seines Geliebten. Es war unmöglich.
Unmöglich? Rastafan zügelte jäh sein Tier. Tasman und Eschnur sahen ihn fragend an. Rastafan grinste. »Ich habe eine Idee.«
»Was für eine?«, fragte Tasman ungeduldig, vom ständigen Schweigen zermürbt.
»Das erzähle ich euch, wenn wir da sind.«
Und nun waren sie in dem Waldstück angekommen und warteten. In ein oder zwei Tagen müsste Orchan mit den Knaben hier vorbeikommen. Nach deren Auslieferung an den Unterhändler aus Xaytan würde er auf demselben Weg zurückkehren, diesmal jedoch beladen mit dem Gold, das er für die menschliche Ware erhalten hatte.
Als in der Nacht alle schliefen, weckte Rastafan seine beiden Gefährten und erzählte ihnen von seinem Plan. Er hatte sie richtig eingeschätzt: Sie waren begeistert – außerdem hätten sie Rastafan nie im Stich gelassen. Kurze Zeit später verließen drei Reiter lautlos das Lager.
Am nächsten Morgen wurde die Abwesenheit der drei Männer bemerkt. Lacunar fragte Rastafans Berglöwen, doch dort wusste niemand etwas. »Rastafan durchstreift gern vor einem Angriff die nähere Umgebung, um ganz sicher zu sein«, meinten sie, und Lacunar gab sich erst einmal damit zufrieden.
18
Am späten Nachmittag wurde der Zug Orchans mit den Knaben gesichtet. Drei Ochsenkarren bewegten sich am Waldrand vorbei in Richtung Fluss, gefolgt von etwa dreißig schwer bewaffneten Kriegern. Sie waren nicht für die Bewachung der Knaben da; sie waren abgestellt, um das Gold zu bewachen, das sich zu diesem Zeitpunkt noch in Khazrak befand. Die Buben hingegen hockten ahnungslos auf den Karren, redeten und lachten miteinander und waren recht vergnügt. So eine Spazierfahrt in eine schöne Stadt, das war doch einmal etwas anderes als auf dem Feld zu arbeiten. Borrak und Orchan ritten voran, der Kaufmann nervös, verschwitzt und unruhig. Er saß zum ersten Mal auf einem Pferd: Der Hintern tat ihm weh, und er fürchtete ständig, herunterzufallen. Außerdem war Borraks Gegenwart seiner Stimmung wenig zuträglich. Er betete zu allen ihm bekannten Göttern, dass die Sache gut ausgehen möge.
Eigentlich hatte er seine Arbeit gut gemacht. Einhundertundsieben Knaben hatte er überreden können, mit ihm in eine strahlende Zukunft zu gehen. Nicht jeder von ihnen war eine Schönheit, aber jung und zart waren sie alle. Orchan hoffte, der König von Xaytan werde zufrieden sein. Denn der versprochene Kenner von Knabenschönheiten war am Ende nicht abkömmlich gewesen.
Endlich kam der Grenzfluss in Sicht. Das Geschnatter der Knaben wurde lebhafter. Sie zeigten freudig erregt auf das Wasser. So einen großen Fluss hatten sie noch nicht gesehen. Schön war er mit seinen schilfbewachsenen Ufern und den majestätischen Weiden, deren Zweige wie Vorhänge über dem Wasser schwebten. An der Anlegestelle standen ein paar Hütten, in denen außer einem Fährmann ein paar Fischer hausten, die nebenbei mit den Reisenden etwas Handel trieben. Orchan kaufte ihnen einige Körbe Fische ab, zum Abend würden sie alle gut speisen. Während sich seine Helfer und die Krieger um die Errichtung des Lagers kümmerten, sprangen die Knaben von den Karren und liefen jauchzend zum Fluss.
»Nicht zu weit hinausschwimmen, die Strömung in der Mitte ist gefährlich«, rief Orchan noch, aber die Knaben hörten ihn nicht mehr. Orchan stand am Ufer und schaute ihnen zu, wie sie durch das Schilf liefen, Enten aufscheuchten und im flachen Uferwasser planschten. Es tat ihm weh, wenn er daran dachte, wie er sie betrogen hatte, aber wie hätte er sich Borrak widersetzen können?
Dieser war neben ihn getreten und spähte zum anderen Ufer hinüber. »Ich hoffe, sie lassen uns nicht allzu lange hier warten«, brummte er.
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