Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
vorbei und schlug dem einen oder anderen brutal die Arme zur Seite. Thuaighan lächelte blasiert. Gemächlich schritt er die Reihe ab, blieb vor jedem Knaben stehen, sah ihm in die Augen und befahl ihm, den flatternden Blick zu halten, bis sich Tränen aus den Augen lösten. Er kniff den Jungen in die Wangen, in die Arme, sah ihnen in den Mund, um ihr Gebiss zu prüfen, und wog ihre Hoden abschätzig in den Händen. Hin und wieder murmelte er etwas. »Zu blass, zu grobknochig, zu mager, zu dick um die Hüften.« Kaum einer, an dem er nichts auszusetzen hatte, und den wenigen, die vor seinen Augen Gnade fanden, griff er zwischen die Beine und spielte mit ihnen. Wurden sie steif, nickte er zufrieden, blieb sein Hantieren erfolglos, zischelte er: »Der muss ab. Du taugst nur von hinten.« Ihr hilfloses Schluchzen beachtete er nicht.
Orchan hätte sich am liebsten verdrückt. Er wünschte, den Eunuchen und Borrak möge der Herr der sieben Abgründe holen und sie in den Tiefsten von ihnen werfen. Er schimpfte sich selbst einen riesengroßen Feigling, gleichzeitig gab er sich seufzend recht.
Endlich war die Musterung vorüber. Die Knaben durften sich wieder anziehen. Thuaighan kam auf ihn zu. Trotz seiner Beleibtheit schritt er behände aus. »Die Qualität lässt zu wünschen übrig. Ich muss mich sehr wundern, dass in ganz Jawendor kein besseres Material aufzutreiben war. Meinem König werde ich sagen, er soll den Betrag auf dreihundert Goldringe je Sklave senken.«
Was sollte Orchan darauf erwidern? Er nickte bedrückt. Bei sich dachte er, dass man von den Bauernsprösslingen auch nichts anderes erwarten konnte. Hunger und harte Arbeit hatten sie früh geprägt. Die meisten hatten lediglich ihre Jugend zu bieten.
Thuaighan bestieg wieder auf die übliche Weise sein Boot, die Ruderer erhoben sich aus dem Schlamm, gingen an ihre Plätze und ruderten ihren Gebieter an das andere Ufer. Das Gold, so hatte er versprochen, werde in zwei Tagen eintreffen.
An diesem Abend hörte man kein Schwatzen und Lachen im Lager, sah man keinen freundschaftlichen Boxhieb oder spielerisches Rangeln, wie es unter Jungen üblich war. Jeder begab sich in seine Schlafecke. Hier und da vernahm man ein leises Weinen.
19
In Lacunars Lager wartete man auf Orchan und sein Gold. Rastafan und seine beiden Freunde blieben verschwunden. Lacunar wurde zunehmend ärgerlich. Weshalb hatte Rastafan ihm nichts gesagt? Was hatte er vor? Wären seine Berglöwen nicht immer noch da gewesen, hätte er sogar Verrat vermutet. Als er auch am zweiten Tag nicht wiederkam, machte er sich ernstlich Sorgen – und Rastafans Männer mit ihm. Den Dreien musste etwas passiert sein. Einige meinten zwar, Rastafan sei schlau genug, um Jawendors Häschern zu entkommen, doch er war immerhin schon einmal als Gefangener in Margan gewesen. Jeden konnte es einmal treffen, selbst so kühne Burschen wie ihn.
Am Abend des zweiten Tages versammelte Lacunar alle Männer und verkündete ihnen seinen Entschluss: »Wenn der Zug mit dem Gold vorbeikommt, werden wir wie geplant angreifen. Wir können nicht auf Rastafan warten. Sollte er später wieder dazustoßen, erhalten die Männer selbstverständlich ihren Anteil. Aber wir werden seinetwegen keine Änderungen am Plan vornehmen.«
Das stieß auf allgemeine Zustimmung. Es war vernünftig und gerecht. Doch auch der dritte Tag verstrich, ohne dass Rastafan oder der Goldtransport gesichtet worden wären. Späher brachten Lacunar die Nachricht, dass die Männer mit den Knaben immer noch an der Anlegestelle ausharrten. Das Gold schien sich zu verspäten. Lacunar beauftragte die Späher, sie sollten in Erfahrung bringen, wie die Stimmung am Fluss sei, ob man überhaupt noch mit dem Gold rechnete.
Am Morgen des vierten Tages kehrten sie zurück und berichteten, dass man dort sehr verärgert sei. Offensichtlich hatte ein Bote des Königs ihnen versprochen, das Gold innerhalb von zwei Tagen zu liefern. Nun mache sich langsam Unruhe im Lager breit, die Knaben würden streng bewacht, weil einige versucht hätten, wegzulaufen. Zwischen dem Kaufmann und dem Hauptmann gäbe es Streitigkeiten, wie lange man noch ausharren solle. Der Kaufmann sei für rasches Aufbrechen, der Hauptmann wolle noch warten.
»Scheint, dass Nemarthos mit den Knaben nicht zufrieden ist«, meinte Lacunar.
»Ja«, sagte ein anderer, »der will nicht zahlen, und wir hocken hier völlig vergebens im Wald. Schade um die fette Beute. Wir sollten auch abhauen.«
»Nicht,
Weitere Kostenlose Bücher