Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
als wir uns umsahen, war sie nicht mehr zu sehen. Sie war – nun, sie war wohl in den Wald gelaufen.«
»Warum hätte sie so etwas Törichtes tun sollen?«
»Vielleicht traute sie uns nicht. Vielleicht hatte sie auch vor den Mitreisenden Angst – einige hatten sie mehrmals lüstern angeschaut. Sie war eine sehr schöne Frau.«
»Und ich sage, dass du lügst!«, fauchte Jaryn ihn an. »Wir hörten, dass diese Frau von Räubern entführt wurde.«
Orchans Lider begannen zu flattern. Er sah von einem zum anderen. »Was soll ich sagen?«, krächzte er. »So war es tatsächlich. Aber was hätte ich tun sollen? Ein schwacher Mann gegen einen Haufen Räuber.«
»Niemand klagt dich an, du sollst uns nur die Wahrheit sagen!«, warf Caelian streng ein. »Was waren das für Gesellen?«
»Sie haben sich mir nicht vorgestellt«, murrte Orchan.
Caelian warf Jaryn einen Blick zu. »Wenn ich mich recht erinnere, beherrschte damals ein wilder, grausamer Mann die Gegend. Bagatur hieß er. Er wurde erst vor drei Jahren gefasst und auf den Zinnen von Margan gepfählt.«
Jaryn bemerkte, dass Orchan bei Nennung dieses Namens blass wurde. »Du kennst diesen Mann!«, zischte er.
Caelian legte Orchan beruhigend die Hand auf den Arm. »Verzeih unsere Ungeduld, aber es ist äußerst wichtig, diese Frau zu finden. Wir haben nichts gegen sie, wir wollen ihr nichts antun. Bitte sag uns die Wahrheit.«
Orchan holte zweimal tief Luft. »Also gut, sie wurde das Weib jenes Bagatur. Mehr weiß ich nicht. Und wo sie sich heute aufhält, auch nicht.«
29
Wie seinerzeit, als er zur Kurdurquelle aufgebrochen war, bewegten Jaryn die unterschiedlichsten Gefühle, aber sie waren doch von ganz anderer Art. Es fiel ihm nicht mehr schwer, auf seinen heiligen Rock und den Zopf zu verzichten, ebenso wenig auf die Sonnenscheibe oder das Feuerauge Achays. Es plagte ihn nicht mehr, wenn er im Freien übernachten musste, es belastete ihn nicht, in die einfachen Kleider eines Bauern zu schlüpfen. Also hätte er unbeschwerter ausschreiten können, wäre da nicht die Ungewissheit um Rastafan gewesen – Konnte er der gesuchte Prinz sein? Und wenn er es war, was hätte das zur Folge?
Jaryn konnte das nur schwer einschätzen. Was würden die Priester, was der König zu einem Thronfolger sagen, dessen Mutter aus Achlad stammte, einem Land, das verhasst und gefürchtet war? Hinter dessen weißen Sandbergen man böse Geister und Dämonen vermutete. Zudem war er ein Gesetzloser, ein Mann, der jederzeit von jedem getötet werden konnte, dem niemand Herberge oder Speise gewähren durfte. Sicher, Rastafan kannte genug Leute, die sich nicht daran hielten. Die Rabenhöhle in Carneth war der Beweis. Aber konnte so einer den Thron von Jawendor besteigen? War nicht Gaidaron, ein Neffe des Königs, aufgewachsen in Margan, rechte Hand des Oberpriesters Suthranna, für die Marganer die weitaus bessere Wahl? Er entstammte nicht in direkter Linie der Dynastie, aber würde man darüber angesichts der unheilvolleren Möglichkeit nicht gern hinwegsehen?
Außerdem überlegte Jaryn, ob er Rastafans Namen preisgeben durfte. Ein plötzlicher Anwärter auf den Thron hatte viele Feinde. Man würde ihn mit aller Macht aufspüren und beseitigen wollen. Gab er ihn aber nicht preis, und die Frist für Razoreth verstrich, dann würde Rastafan dem Herrn der Abgründe gehören. Er würde dem abgrundtief Bösen verfallen, so hatte es Anamarna gesagt. Auch wenn er dann nicht den Thron bestieg, könnte er Jawendor mithilfe seines Onkels Lacunar aus Achlad verwüsten und, besessen von den schrecklichen Einflüssen Razoreths, in den Untergang treiben. Und daran wäre er – Jaryn – schuld!
Am Horizont tauchten die Rabenhügel auf. Als er den Weg zur Köhlerhütte einschlug, versuchte er sich zu beruhigen: Ich zerbreche mir den Kopf über Dinge, die gar nicht eintreten müssen. Es ist doch nur eine Vermutung, sie muss nicht stimmen. Ich habe bei Rastafan nie das Gefühl gehabt, er müsse jener Prinz sein. Er kann es nicht sein, die Sorge um ihn und die Zukunft spielt mir einen Streich. Es wird alles gut. Auch wenn wir nicht zusammenleben können, werden wir uns nie trennen. Immer wieder werden wir Möglichkeiten finden, uns zu sehen und zu lieben. Wie heute.
Als er in die Hütte eintrat, fragte er sich, wie Rastafan von seiner Anwesenheit erfahren sollte? Die Hütte wirkte nicht unbewohnt. Sie schien häufiger von den Berglöwen benutzt zu werden. Wahrscheinlich trieben sich immer
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