Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
ihn nach den Schriften. »Aven hat gesagt, Ihr seid fertig. Geben sie Aufschluss über unsere Vergangenheit, und können wir Erkenntnisse aus ihnen ableiten?«
»Die Schriften sind ein wahrer Schatz, aber lass uns später darüber reden. Es würde zu lange dauern, denn wir wollen doch jetzt, wenn Caelian und Aven gekocht haben, über andere Dinge plaudern. Ich bin sehr neugierig, was ihr mir alles erzählen werdet.«
In den nächsten Stunden wurde gegessen, erzählt und gelacht. Es herrschte eine beinahe übermütige Stimmung. Dann sagte Anamarna zu Jaryn: »Du hast ja schon gehört, dass Suthranna seit einiger Zeit bei mir ist. Nicht weit entfernt von der Quelle haben er und ein paar Helfer Hütten errichtet, um Besuchern, die sich hier erfrischen wollen, Obdach zu bieten. Zuerst hatten wir nur an das berühmte Kurdurwasser gedacht, aber dann meinte Suthranna, er könne mit seinem medizinischen Wissen doch auch andere Zipperlein heilen. Und so ist die Idee eines Hospitals entstanden. Er müsste jetzt zu Hause sein. Geh doch kurz hinüber und begrüße ihn. Aven wird dir den Weg zeigen.«
»Das mache ich gern«, sagte Jaryn und erhob sich. »Ich möchte ihm gern sagen, wie sehr ich ihn dafür bewundere.«
Als auch Caelian aufstand, um ihn zu begleiten, denn auch er hätte Suthranna gern wiedergesehen, schüttelte Anamarna den Kopf. »Du bleibst hier. Ich habe da noch einige Stellen in den Pergamenten gefunden, die mir nicht ganz klar sind. Dabei kannst du mir helfen. Suthranna kannst du auch noch morgen besuchen.«
Caelian wunderte sich zwar, sagte aber nichts und gehorchte.
Als sie den Wiesenpfad hinunterschritten, sah Jaryn bald die Hütten, die sich unter mächtigen Buchenkronen duckten. Er kannte den Hain, denn der Weg führte an ihm vorüber zu Quelle.
Aven zeigte ihm Suthrannas Hütte und ließ Jaryn dann allein. Jaryn klopfte, aber es öffnete niemand. Er stieß gegen die Holztür, und als er merkte, dass sie offen war, ging er hinein. »Suthranna?«
Niemand antwortete.
Suthranna ist wohl kurz weggegangen, dachte Jaryn und wollte schon umkehren, um in den anderen Hütten nachzusehen, als er seinen Namen hörte.
»Jaryn?«
Die Stimme! Jaryn erstarrte. Er hätte sie unter Tausenden wiedererkannt. Das war nicht Suthranna. Zögernd und zweifelnd hatte sie geklungen, so als sei der Sprecher sich seiner Sache nicht sicher.
Jaryn drehte sich um. In der Tür stand Rastafan. Seine hohe, muskulöse Gestalt füllte sie ganz aus, verdunkelte das Licht, und so fiel sein Schatten auf Jaryn. Er war so erschrocken, dass er sich an der Tischkante festhalten musste, die er, nach einem Halt suchend, zu fassen bekommen hatte. Das Schweigen zwischen ihnen war kalt und so quälend wie Wolfszähne an der Kehle.
Mühsam sammelte Jaryn etwas Speichel in seinem ausgetrockneten Mund. »Du stellst mir nach?«, krächzte er.
Rastafan machte zwei Schritte in das Zimmer hinein, gab die Tür frei und ließ das Licht hereinströmen. Es fiel auf Jaryn, und er begann zu leuchten.
Ja, in Rastafans Augen leuchtete er. Der Mann, der da vor ihm stand, das war nicht mehr jener Sonnenpriester, den er sich in den Rabenhügeln gegriffen hatte, das war ein Krieger. Sein einstmals dunkelblondes, von weißblonden Strähnen durchzogenes Haar war von der Wüstensonne gebleicht und hatte einen silbernen Farbton angenommen. Aus dem braun gebrannten Gesicht war der alte Hochmut verschwunden, aber die Augen schimmerten wie grünes Eis.
In Rastafan wurde ein alter Instinkt wach: So sieht ein Feind aus. Doch dieser Feind – bei sämtlichen göttlichen Heerscharen, Achay, Zarad oder auch Morphor! Er begriff nicht, wie er, nur drei Schritte von Jaryn entfernt, hier stehen konnte wie ein fest verwurzelter Baum bei Windstille. Weshalb riss er Jaryn nicht einfach in die Arme? Er hatte doch auch früher nie gefragt, ob es ihm recht war, und es war ihm immer recht gewesen. Doch er war wie gelähmt.
»Ich stelle dir nicht nach. Ich bin hier auf Anamarnas Wunsch.«
Jaryn rang einen Moment nach Luft. »Ach so ist das!«
Er war wie betäubt. Anamarna hatte ihn in eine Falle gelockt. Das war abscheulich, einfach unverzeihlich.
»Ja, so ist das, Jaryn. Er wollte …«
»Was er wollte, das weiß ich, aber nicht einmal der alte Mann kann Zerbrochenes wieder zusammenfügen. Geh mir aus dem Weg! Ich will weg von hier.«
Rastafan trat zur Seite, aber als Jaryn an ihm vorüberging, streckte er die Hand nach ihm aus. Seine Fingerspitzen berührten ihn an der
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