Lady Almina und das wahre Downton Abbey: Das Vermächtnis von Highclere Castle (German Edition)
entsprechen, ginge man davon aus, dass sie ihre Kinder nicht liebte oder sich nicht um sie sorgte, nur weil sie wenig Zeit mit ihnen verbrachte. Um das tägliche Wohlergehen der Kinder kümmerten sich andere, aber das war damals normal.
Alminas Sohn Porchy, der 6. Earl of Carnarvon, erinnerte sich später in seinen Memoiren daran, dass die für gewöhnlich sonntags zur Teestunde stattfindenden Besuche der Eltern in der Kinderstube oft qualvolle Ereignisse waren. Er liefert eine herzzerreißende Beschreibung der Familie, die im Umgang miteinander so unbeholfen war, dass ihr der Gesprächsstoff fehlte. Der Earl, der sie mit Fragen nach dem Vorankommen im Schulunterricht überschüttete, legte dasselbe Verhalten an den Tag, das er von seinem Vater kannte. Porchy atmete erleichtert auf, wenn die Eltern das Zimmer verließen und in ihre eigene Welt zurückkehrten. Almina scheint nicht in der Lage gewesen zu sein, die Kluft zwischen Vater und Sohn zu überbrücken oder selbst eine innige Beziehung zu Henry aufzubauen.
Dieses Problem war jedoch nur teilweise den Eltern anzulasten: Porchy und Eve wurden in der Zeit geboren, in der die Maxime »Kinder sollte man sehen und nicht hören« kein lächerliches, altmodisches Klischee, sondern herrschende Überzeugung war. Kinder besaßen schlichtweg einen niedrigeren Status als ihre Eltern. Diese Auffassung spiegelte sich auch in der Tatsache, dass Porchy und Eve, solange sie in der Kinderstube wohnten, die Personaltreppen benutzten, wider.
Es mögen jedoch noch weitere Kräfte am Werk gewesen sein. Porchy erzählt in seinen Memoiren auch die Geschichte eines kindlichen Missgeschicks. Im Alter von ungefähr neun Jahren besuchte er zusammen mit seiner Mutter ein im Buckingham Palace veranstaltetes Gartenfest. In kindlichem Ungestüm achtete er nicht darauf, wo er hinlief, und prallte gegen den gewichtigen Bauch König Edwards VII. Seine Königliche Hoheit hatte seit den Tagen, in denen er als Prince of Wales Highclere Castle besucht hatte, nicht an Leibesfülle verloren. Er ächzte unter dem Aufprall und fiel zu Boden. Er war unverletzt und versicherte dem Jungen, dass er ihm keinen Schaden zugefügt habe, doch Porchy wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Prinzessin Mary sah, dass der Junge bestürzt war, und führte ihn weg, um ihn mit Eiscreme zu trösten. Erneut trat eine Katastrophe ein, als Porchy ungeschickt mit seinem Teller hantierte und rote Himbeersauce auf das weiße Satinkleid der Prinzessin goss. Während Mary von ihrer erbosten Zofe übereifrig hinauskomplimentiert wurde, um sich umzukleiden, tauchte Almina wutentbrannt am Ort des Geschehens auf, packte Porchy am Arm, brachte ihn nach Hause und schickte ihn mit nicht mehr als einer Ration Brot und Milch zu Bett. Die Worte, mit denen sie ihrem Ärger Luft machte, sind bezeichnend: »Schäm dich!«, sagte sie. »Du hast mich heute blamiert!« Vielleicht empfand Almina auch nach Jahren ihrer Zugehörigkeit zum Establishment immer noch Sorge um ihren Stellenwert. Ablehnung oder Spott waren ihr ein Gräuel, also durften keine Fehler begangen werden, auch nicht seitens des Sohnes.
Vielleicht fiel Almina der Umgang mit Erwachsenen schlichtweg leichter als mit Kindern. Das Verhältnis zu ihrem Sohn besserte sich, als dieser älter wurde. Nachdem Porchy der 6. Earl of Carnarvon geworden war, fragte er seine Mutter vor seiner zweiten Heirat um Rat und lud sie immer wieder nach Highclere und zu Familienfesten wie der Verlobungsfeier ihres geliebten Enkels ein. Zu ihrer Tochter Eve hatte Almina zeitlebens ein enges Verhältnis.
1901 war nicht nur für die Carnarvons, sondern für das gesamte Land ein bedeutendes Jahr: Im Januar, als Almina gerade mit ihrem zweiten Kind schwanger war, verstarb Königin Victoria in Osborne House, ihrem Landsitz auf der Isle of Wight, im Kreise ihrer Kinder und Enkelkinder. Ihr Sohn Bertie, der Prince of Wales und baldige König Edward VII., war zu diesem Zeitpunkt 59 Jahre alt. Ihr ältester Enkel, der deutsche Kaiser Wilhelm II., der 13 Jahre später gegen das Land seiner geliebten Großmutter in den Krieg ziehen sollte, hatte sich ebenfalls an ihrem Sterbebett eingefunden. Königin Victoria hatte fast 64 Jahre lang regiert und der Konsolidierung Großbritanniens als auf der Weltbühne führende Macht vorgestanden. Ihr Name ist bis heute Synonym für die Epoche. Für ihre Untertanen, die im gesamten britischen Weltreich 440 Millionen zählten, war ihr Tod ein einschneidendes
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