Lady Chatterley (German Edition)
bedient sich des Hyäneninstinkts des Pöbels gegen den Sexus, um den Mann kleinzukriegen. Man hat zu winseln und sich sündig und jämmerlich zu fühlen wegen seines Geschlechts, bevor einem gestattet wird, eines zu haben. Oh, sie werden den armen Teufel schon fertigmachen.»
Connie hatte nun einen Gefühlsumschwung zur anderen Richtung. Was hatte er schließlich getan? Was hatte er ihr, Connie, anderes getan, als ihr einen wunderbaren Genuß verschafft und ein Gefühl von Freiheit und Leben? Er hatte den lebendigen, natürlichen Strom ihres Sexus freigemacht. Und dafür würden sie ihn zu Tode hetzen.
Nein. Nein, das sollte nicht sein. Sie sah sein Bild vor sich, wie er nackt und weiß, mit sonnverbranntem Gesicht und braunen Händen vor ihr stand und an sich niedersah und zu seinem aufgerichteten Penis sprach wie zu einem anderen Wesen und dabei das sonderbare Grinsen über sein Gesicht flackerte. Und sie hörte wieder seine Stimme: du hast den hübschesten Weiberarsch, den’s gibt! Und sie fühlte seine Hand sich warm und weich über ihren Hintern legen, über ihre geheimen Stellen, wie in einer Segnung. Und Wärme durchrieselte ihren Schoß, und die kleine Flamme züngelte in ihren Knien hoch, und sie sagte: O nein! Ich darf mein Wort nicht brechen, ich darf ihm nicht in den Rücken fallen. Ich muß zu ihm halten und zu allem, was ich von ihm hatte, muß alles mit ihm durchstehen. Ich hatte kein warmes, flammendes Leben, bevor er es mir gab. Und ich werde dazu stehen.
Sie tat etwas Unbesonnenes. Sie schrieb einen Brief an Ivy Bolton, fügte einen zweiten an den Heger bei und bat Mrs. Bolton, ihm diese Zeilen auszuhändigen. Sie schrieb ihm: «Ich bin sehr niedergeschlagen, von all dem Kummer zu hören, den Ihre Frau Ihnen bereitet; aber nehmen Sie es nicht so schwer, sie tut es nur aus Hysterie. Alles wird so schnell vergessen sein, wie es aufgekommen ist. Aber es tut mir entsetzlich leid, und ich hoffe inständig, daß es Sie nicht allzu sehr mitnimmt. Das ist es letzten Endes nicht wert. Sie ist nur eine hysterische Person, die Sie verletzen will. In zehn Tagen komme ich zurück, und ich hoffe, daß bis dahin alles wieder gut ist.»
Wenige Tage später traf ein Brief von Clifford ein. Er war sichtlich aus der Fassung gebracht.
«Ich freue mich zu hören, daß Du bereit bist, Venedig am Sechzehnten zu verlassen. Aber wenn Du Dich gut amüsierst, laß Dir Zeit mit dem Heimkommen. Wir vermissen Dich, Wragby vermißt Dich. Aber es ist notwendig, daß Du Dein volles Quantum an Sonnenschein bekommst – an Sonnenschein und Trikots, wie die Lido-Plakate sagen. Also bitte, bleibe noch ein bißchen länger, wenn es Dich aufheitert und für unseren Winter wappnet, der scheußlich genug ist. Sogar heute regnet es.
Ich bin bei Mrs. Bolton in den sorgsamsten, treuesten Händen. Sie ist ein merkwürdiges Exemplar. Je länger ich lebe, desto deutlicher geht mir auf, was für sonderbare Geschöpfe die Menschen sind. Manche von ihnen könnten ebensogut tausend Beine haben wie ein Tausendfüßler oder sechs wie ein Hummer. Menschliche Festigkeit und Würde, die von seinen Mitmenschen zu erwarten man sich verleiten ließ, scheint es tatsächlich nicht zu geben. Man muß zweifeln, ob sie in bemerkenswertem Grad überhaupt in einem selbst vorhanden sind.
Der Skandal um den Heger rollt weiter und wird immer größer, wie eine Lawine. Mrs. Bolton hält mich auf dem laufenden. Sie erinnert mich an einen Fisch, der, wenn er auch stumm ist, zeit seines Lebens still vor sich hin Klatsch durch seine Kiemen atmet. Alles passiert das Sieb ihrer Kiemen, und nichts überrascht sie. Es ist, als seien die Ereignisse im Leben anderer Leute notwendiger Sauerstoff für das ihre.
Sie beschäftigt sich inbrünstig mit dem Mellors-Skandal, und wenn ich ihr einen Auftakt gebe, führt sie mich in seine tiefsten Tiefen. Ihre große Empörung, die selbst in so einem Fall noch der Empörung einer Schauspielerin gleicht, die ihre Rolle spielt, richtet sich gegen die Frau von Mellors, die sie beharrlich Bertha Coutts nennt. Ich bin auf den Grund der schlammigen Leben aller Bertha Coutts dieser Welt getaucht, und wenn der Strudel des Klatsches mich losläßt und ich langsam wieder an die Oberfläche steige, sehe ich staunend ins Tageslicht und wundere mich, daß es überhaupt noch da ist.
Mir scheint, es steht ein für allemal fest, daß unsere Welt, die uns als die Oberfläche aller Dinge vorkommt, in Wirklichkeit der Grund eines tiefen
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