Lady Chatterley (German Edition)
Was würde sie mir eigentlich geben, das möchte ich mal wissen! Ich kann mir noch nicht mal ’n neuen Übergangsmantel leisten, mein Vater verdient so schlecht, und sie kriegt Wagenladungen voll. Wird Zeit, daß die armen Leute mal Geld zum Ausgeben kriegen, die Reichen haben es lange genug gehabt. Ich brauche einen neuen Übergangsmantel, und wo kriege ich ihn her? – Ich sage zu ihnen, seid dankbar, daß ihr genug zu essen habt und anständig angezogen seid, auch ohne all die neuen Kinkerlitzchen, die ihr haben wollt! – Und sie wettern los gegen mich: Warum ist denn Prinzessin Mary nicht dafür dankbar, in ihren alten Fetzen rumzulaufen und nichts anderes zu haben? Leute wie sie kriegen Wagenladungen voll, und ich kann mir keinen neuen Übergangsmantel leisten. Es ist ’ne verdammte Schande! Prinzessin! Schöner Quatsch – Prinzessin! Geld, darauf kommt’s an, und weil sie ’ne Menge davon hat, darum kriegt sie immer mehr! Mir gibt keiner was, und dabei hab ich ebensoviel Recht darauf wie jeder andere. Erzählen Sie mir nichts von Erziehung. Auf Geld kommt’s an. Ich will einen neuen Übergangsmantel haben, ja, das will ich, und ich krieg keinen, weil kein Geld da ist. – Das ist alles, was sie interessiert – Kleider. Sie denken sich nichts dabei, sieben oder acht Guineas für einen Wintermantel auszugeben – die Töchter von den Bergleuten, ich bitte Sie – und zwei Guineas für einen Kindersommerhut. Und dann gehen sie in die Kirche in ihrem Zwei-Guineas-Hut, Mädchen, die zu meiner Zeit stolz gewesen wären, wenn sie einen für drei Shilling sechs aufgehabt hätten. Dies Jahr, zur Jahresfeier der Methodisten, haben sie für die Sonntagsschulkinder eine Plattform gebaut, wie eine Tribüne, die fast bis an die Decke ging, und ich habe gehört, wie Miss Thompson, die die erste Mädchenklasse in der Sonntagsschule unterrichtet, gesagt hat, daß auf dieser Plattform über tausend Pfund an neuen Sonntagskleidern saßen! Und dabei sind die Zeiten doch gar nicht danach! Aber man kann sie nicht davon abhalten. Sie sind verrückt nach Kleidern. Und mit den Jungs ist es dasselbe. Die Großen geben jeden Penny für sich selber aus, Kleider, Rauchen, Trinken im Bergarbeiterheim, und zwei-, dreimal die Woche fahren sie rüber nach Sheffield. Na ja, es ist eben eine andere Welt. Und sie haben vor nichts Angst, vor nichts Respekt, die Jungen – o nein. Die älteren Männer, die sind so geduldig und gut, wirklich, sie lassen die Frauen alles haben. Und das ist auch mit schuld daran. Die Frauen sind richtige böse Geister. Aber die Jungs sind nicht wie ihre Väter. Sie opfern nichts, die nicht – die nehmen alles für sich selbst. Wenn Sie ihnen raten, sie sollten doch ein bißchen was auf die Seite legen, für ein Haus, dann sagen sie: Das hat noch Zeit, erst mal will ich mich amüsieren, solange ich noch kann. Das andere hat noch Zeit! – Oh, sie sind ruppig und selbstsüchtig, das können Sie glauben. Alles bleibt an den älteren Männern hängen, und überall sieht es so schlecht aus.»
Clifford fing an, eine neue Vorstellung von seinem Dorf zu bekommen. Der Ort hatte ihn immer erschreckt, aber er hatte seine Ordnung für mehr oder minder stabil gehalten. Und jetzt –.
«Gibt es bei den Leuten eigentlich sozialistische, bolschewistische Tendenzen?» fragte er.
«Oh!» erwiderte Mrs. Bolton. «Sie können schon ein paar Großmäuler hören. Aber meistens sind das Frauen, die in Schulden geraten sind. Die Männer nehmen keine Notiz davon. Ich glaube nicht, daß Sie unsere Tevershaller Männer jemals rot färben können. Die sind zu anständig dazu. Aber die Jungen, die quatschen manchmal davon. Nicht, daß sie sich wirklich dafür interessieren. Sie wollen nur ein bißchen Geld in der Tasche haben, um es im Bergmannsheim auszugeben oder nach Sheffield zum Bummeln fahren zu können. Das ist alles, für was die sich interessieren. Nur wenn sie kein Geld haben, hören sie den Reden der Roten zu. Aber richtig dran glauben tut keiner.»
«Sie glauben also, daß keine Gefahr besteht?»
«O nein! Wenn das Geschäft gut ist, dann gewiß nicht. Aber wenn es eine lange Zeit schlecht stünde, dann könnten die Jungen Sperenzchen machen. Sie können mir glauben, eine egoistische, verzogene Bande ist das. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die je etwas zustande bringen könnten. Denen ist es mit nichts ernst, außer auf Motorrädern herumzukariolen oder sich im ‹Palais de Danse› in Sheffield zu
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