Lady Chatterley (German Edition)
Schritt eignete sie sich an, was die feinen Leute wußten, all das, was sie zur Oberklasse machte – abgesehen vom Geld. Das begeisterte sie. Und gleichzeitig erreichte sie es, daß Clifford sie um sich haben wollte. Ihr Begeisterung war eine subtile, versteckte Schmeichelei für ihn.
Und Connie war es, als zeige Clifford allmählich seine wahren Farben: etwas gewöhnlich, etwas alltäglich und geistlos und ziemlich stumpf. Und Ivy Boltons Winkelzüge und ihre demütige Herrschsucht waren auch nur allzu durchsichtig. Connie staunte wirklich über die echte Begeisterung, die die Frau in Cliffords Nähe empfand. Zu sagen, daß sie in ihn verliebt sei, hieße, es nicht ganz richtig ausdrücken. Sie war erregt durch den nahen Kontakt mit einem Menschen der Oberklasse, mit diesem adeligen Mann, diesem Autor, der Bücher schreiben konnte und Gedichte, und dessen Bild in den Illustrierten erschien. Sie war in einem Maße erregt, daß es einer unheimlichen Leidenschaft gleichkam. Und daß er sie «erzog», löste in ihr eine leidenschaftliche Erregung und Reaktion aus, viel intensiver als jedes Liebesverhältnis. Ja, gerade die Tatsache, daß ein Liebesverhältnis nicht in Frage kam, erlaubte ihr, diese andere Leidenschaft bis ins Mark auszukosten – die besondere Leidenschaft, zu wissen – zu wissen, was er wußte.
Es war nicht falsch: die Frau war in gewisser Hinsicht verliebt in ihn – welche Bedeutung wir auch immer dem Wort Liebe beimessen mögen. Sie sah so hübsch aus und so jung, und ihre grauen Augen waren manchmal wunderschön. Zugleich wurde eine versteckte, sanfte Genugtuung bei ihr sichtbar, Triumph sogar und Selbstzufriedenheit. Scheußlich, diese Selbstzufriedenheit! Wie Connie sie haßte!
Aber kein Wunder, daß Clifford eingenommen war von dieser Frau! Sie betete ihn an, auf ihre beharrliche Weise, und war ihm vollkommen zu Diensten, ließ ihn über sie verfügen, wie immer er wollte. Kein Wunder, daß er geschmeichelt war!
Connie hörte langen Gesprächen der beiden zu. Oder richtiger, meistens sprach Mrs. Bolton. Sie hatte für ihn die Schleusen des Klatsches aus Tevershall geöffnet. Es war mehr als Klatsch. Sie vereinte die Fähigkeiten von Mrs. Gaskell und George Eliot und Miss Mitford und bot noch einiges mehr, was diese Leute vergaßen. Einmal entfesselt, war Mrs. Bolton besser als jedes Buch über das Leben des Volkes. Sie kannte alle auf das intimste und mischte sich mit so außerordentlichem, flammendem Eifer in die Angelegenheiten der anderen, daß es wundervoll war – wenn auch eine Spur erniedrigend –, ihr zuzuhören. Anfangs hatte sie es nicht gewagt, mit Clifford «Tevershall zu erörtern», wie sie es nannte. Aber als sie einmal damit begonnen hatte, hörte es nicht wieder auf. Clifford lauschte, um «Stoff» zu bekommen, und er fand ihn in Menge. Connie erkannte, was ein sogenanntes Genie ausmachte: eine augenfällige Begabung für persönlichen Klatsch, gescheit und scheinbar objektiv. Mrs. Bolton natürlich war sehr in Fahrt, wenn sie «Tevershall erörterte». Regelrecht mitgerissen. Und es war herrlich, was alles passierte und was sie alles wußte. Sie hätte es auf Dutzende von Bänden bringen können.
Connie hörte ihr fasziniert zu, war aber hinterher immer ein bißchen beschämt. Es schickte sich nicht, mit so abseitiger, verbissener Neugier zuzuhören. Man darf zwar die privatesten Dinge über andere Leute erfahren, aber nur voll Respekt vor dem ringenden, geschundenen Etwas, das jede Menschenseele ist, und im Geiste vornehmer, unterscheidender Anteilnahme. Denn sogar die Satire ist eine Form der Anteilnahme. Die Art, wie unser Mitgefühl verströmt und stockt – das ist es, was im Grunde unser Leben bestimmt. Und hierin liegt die unermeßliche Bedeutung des Romans – des richtig gehandhabten Romans. Er vermag den Strom unseres mitfühlenden Bewußtseins zu speisen und ihn in neue Bereiche zu führen, und er kann in einem Rückstrom unser Mitgefühl von abgestorbenen Dingen weglenken. Deshalb vermag der richtig gehandhabte Roman die geheimsten Bereiche des Lebens zu enthüllen: denn vor allem in den geheimen, leidenschaftlichen Bereichen des Lebens muß die Flut empfindender Bewußtheit ebben und strömen, klärend und auffrischend.
Aber der Roman, wie der Klatsch, kann auch unechte Sympathien und Antipathien erregen, mechanische, für die Seele tödliche. Der Roman kann die verderbtesten Empfindungen verherrlichen, solange sie in konventionellem Sinne
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