Lady Chatterley (German Edition)
rasieren.»
Ihr Herz tat ein paar Schläge mehr, und sie erwiderte mit besonderer Sanftheit:
«Sehr wohl, Sir Clifford.»
Ihre weichen, zögernden, ein wenig langsamen Bewegungen waren sehr geschickt. Anfangs hatte ihm die unendlich weiche Berührung ihrer Finger in seinem Gesicht widerstrebt. Aber jetzt mochte er sie mit wachsender Wollust. Er ließ sich fast täglich von ihr rasieren – ihr Gesicht dem seinen nah, die Augen ganz bei der Sache, daß sie es auch gut mache. Und nach und nach wurden seine Wangen und Lippen, seine Kiefer und sein Kinn und seine Kehle ihren Fingerspitzen vertraut. Er war wohlgenährt und gepflegt, sein Gesicht und sein Hals waren hübsch, und er war ein Herr.
Auch sie war hübsch – blaß, mit einem ziemlich langgezogenen, ganz stillen Gesicht, glänzenden Augen, die nicht das geringste verrieten. Langsam, unendlich sanft, beinah liebevoll, faßte sie an seine Kehle, und er lieferte sich ihr aus.
Sie tat jetzt fast alles für ihn, und er fühlte sich ihr gegenüber unbefangener, schämte sich weniger vor ihr als vor Connie, niedrige Dienste anzunehmen. Es gefiel ihr, mit ihm umzugehen. Sie liebte es, seinen Körper ganz und gar in ihrer Obhut zu haben, bis zur niedrigsten Handreichung. Irgendwann einmal sagte sie zu Connie: «Alle Männer sind kleine Kinder, wenn man ihnen erst einmal auf die Spur kommt. Also wirklich, ich habe es mit den härtesten Burschen zu tun gehabt, die je in die Grube von Tevershall eingefahren sind. Aber sie brauchen nur mal was zu haben, so daß man sich um sie kümmern muß, und schon sind sie kleine Kinder, einfach große kleine Kinder. Oh, es gibt da kaum einen Unterschied bei den Männern!»
Anfangs hatte Mrs. Bolton geglaubt, ein Herr sei doch etwas anderes, ein wirklicher Herr, wie Sir Clifford. Und so hatte Clifford am Anfang einen Stein bei ihr im Brett. Doch nach und nach, als sie ihm auf die Spur kam, um ihren eigenen Ausdruck zu benutzen, stellte sie fest, daß er wie alle anderen war: ein kleines Kind, das zu den Proportionen eines Mannes herangewachsen war – aber ein Kind mit einer wunderlichen Natur und einem feinen Betragen und starker Selbstbeherrschung und einer Vielfalt merkwürdigen Wissens, von dem sie nie auch nur geträumt hatte und mit dem er sie noch immer einzuschüchtern vermochte.
Connie fühlte sich zuweilen versucht, ihm zu sagen:
«Um Gottes willen, gib dich dieser Frau doch nicht so grauenvoll in die Hand!» Aber sie stellte fest, daß er ihr mittlerweile zu gleichgültig geworden war, als daß sie es ihm noch gesagt hätte.
Noch immer war es bei der Gewohnheit geblieben, den Abend bis um zehn gemeinsam zu verbringen. Sie unterhielten sich, lasen zusammen oder sahen sein Manuskript durch. Doch die Begeisterung war erloschen. Seine Manuskripte langweilten sie. Aber pflichtschuldig schrieb sie sie noch immer mit der Maschine ab. Mit der Zeit jedoch würde auch das Mrs. Bolton übernehmen.
Denn Connie hatte Mrs. Bolton dazu bewogen, Maschineschreiben zu lernen. Und Mrs. Bolton, nimmermüde, hatte sofort damit angefangen und übte unverdrossen. Clifford diktierte ihr manchmal einen Brief, und ziemlich langsam noch, aber korrekt, schrieb sie ihn nieder. Er war sehr geduldig, buchstabierte ihr die schwierigen Worte oder gelegentliche französische Wendungen. Sie war so aufgeregt, daß es fast ein Vergnügen war, sie zu unterweisen.
Connie schützte von nun an manchmal Kopfschmerzen vor – als Ausrede, um nach dem Abendessen in ihr Zimmer hinaufgehen zu können.
«Vielleicht spielt Mrs. Bolton Pikett mit dir», sagte sie zu Clifford.
«Oh, mir wird es an nichts fehlen. Geh nur in dein Zimmer und leg dich hin, Liebling.»
Aber kaum war sie gegangen, läutete er nach Mrs. Bolton und forderte sie auf, eine Partie Pikett oder Besik oder gar Schach mit ihm zu spielen. Er hatte ihr all diese Spiele beigebracht. Und Connie empfand es als merkwürdig unangenehm, mitanzusehen, wie Mrs. Bolton, errötend und zitternd wie ein kleines Mädchen, ihre Königin oder ihren Springer mit unsicheren Fingern berührte und die Hand dann wieder zurückzog, und zu hören, wie Clifford mit einem leisen, halb mokanten, überlegenen Lächeln zu ihr sagte: «Sie müssen sagen ‹j’adoube› .»
Mit glänzenden, erschreckten Augen sah sie dann zu ihm auf und murmelte schüchtern, gehorsam: «J’adoube.»
Ja, er erzog sie. Und hatte Spaß daran: es gab ihm ein Gefühl der Macht. Und sie war begeistert. Schritt für
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