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Lady Chatterley (German Edition)

Lady Chatterley (German Edition)

Titel: Lady Chatterley (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D. H. Lawrence
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Gemüsehandlungen, die scheußlichen Hüte in den Modegeschäften! Häßlich, häßlich, häßlich flog alles vorbei, und dann kam das Gips- und Gold-Ungeheuer, das Kino mit seinen durchnäßten Bildplakaten: «Frauenliebe» und die neue große Kapelle der Primitivengemeinde – weiß Gott primitiv mit ihren nackten Backsteinwänden und großen grünlichen und himbeerfarbenen Glasscheiben in den Fenstern. Weiter oben die Methodistenkapelle war aus geschwärztem Ziegelstein und von eisernen Gittern und verrußtem Buschwerk umgeben. Die Gemeindekapelle, die sich für etwas ganz Besonderes hielt, war aus bossiertem Sandstein gebaut und hatte einen Turm, wenn auch keinen hohen. Gleich dahinter lagen die neuen Schulgebäude, aus teuren rosa Ziegeln, und die Spielplätze waren von einem eisernen Geländer umzäunt und mit Kies bestreut: das Ganze war sehr eindrucksvoll und ließ einen an eine Mischung von Kirche und Gefängnis denken. Eine fünfte Mädchenklasse hielt gerade eine Singstunde ab: eben hatten sie ihre La-mi-do-la-Übungen beendet und stimmten nun ein «süßes Kinderlied» an. Sich etwas vorzustellen, das einem Lied, einem spontanen Lied unähnlicher war als dies, wäre nicht möglich gewesen: ein absurdes, plärrendes Geschrei, das sich in den Umrissen einer Melodie bewegte. Es klang nicht nach Wilden: Wilde haben kunstvolle Rhythmen. Es klang auch nicht nach Tieren: Tiere wollen etwas ausdrücken , wenn sie schreien. Es klang wie nichts sonst auf der Welt, und es wurde Singen genannt. Connie saß da und hörte zu, und ihr Herz sank, während Field Benzin tankte. Was sollte denn noch aus so einem Volk werden, einem Volk, in dem jede lebendige, intuitive Kraft erstorben war und nur merkwürdige mechanische Schreie und eine unheimliche Willenskraft zurückblieben?
    Ein Kohlenkarren rasselte im Regen hügelabwärts. Field ließ den Motor wieder an, und weiter ging es an großen, aber trostlos aussehenden Stoff- und Kleidergeschäften und dem Postamt vorbei zum kleinen, verlassenen Marktplatz, vorbei an der «Sonne», die sich Gasthof nannte, nicht Wirtschaft, und in der die Handelsreisenden abstiegen, aus deren Tür jetzt Sam Black seinen Kopf heraussteckte und zu Lady Chatterleys Wagen hin eine Verbeugung machte.
    Zur Linken, hinter schwarzen Bäumen, lag die Kirche. Weiter rollte der Wagen, den Abhang hinab, am «Bergmannswappen» vorbei. Er hatte schon den «Wellington», den «Nelson», die «Drei Stollen» und die «Sonne» passiert und fuhr jetzt am «Bergmannswappen» vorbei und an der Mechanikerwerkstatt und an dem neuen, geradezu pompösen Bergmannsheim und so, noch an ein paar neuen «Villen» entlang, auf die rußüberkrustete Straße hinaus, die zwischen dunklen Hecken und tiefgrünen Feldern nach Stacks Gate führte.
    Tevershall! Das war Tevershall! Fröhliches England! Shakespeares England! Nein, aber das England von heute, wie Connie es kennengelernt hatte, seit sie hergekommen war, um hier zu leben. Es brachte eine neue Menschheit hervor, die in Dingen des Geldes und sozialer und politischer Bestrebungen überbewußt war, aber wenn es auf Spontaneität und Intuition ankam, tot war, tot! Halbleichen waren alle, doch mit einer erschreckenden, beharrlichen Bewußtheit in der lebendigen Hälfte. Etwas Unheimliches, Unterirdisches lag in allem. Es war eine Unterwelt. Und ganz unberechenbar. Wie sollen wir verstehen, was in Halbleichen vorgeht? Als Connie die großen Lastwagen sah, voll von Stahlarbeitern aus Sheffield, gespenstischen, verkrümmten, körperlich zurückgebliebenen Wesen, die nur entfernt wie Männer aussahen und unterwegs auf einem Ausflug nach Matlock waren, verkrampften sich ihr die Eingeweide, und sie dachte: O Gott, was hat der Mensch dem Menschen angetan! Was haben die Anführer der Menschheit ihren Mitmenschen angetan! Sie haben sie reduziert auf etwas, das mit Menschentum nichts mehr zu tun hat; und keine Gemeinschaft kann es mehr geben. Es ist wie ein Albtraum.
    In einer Woge des Grauens empfand sie wieder die fahle, kiesige Hoffnungslosigkeit des Ganzen. Wenn die Scharen der Industriearbeiter aus diesen Wesen bestanden und die oberen Klassen waren, wie sie sie kannte, gab es keine Hoffnung, keine Hoffnung mehr. Und sie wollte ein Kind, einen Erben für Wragby! Einen Erben für Wragby! Sie schauderte vor Entsetzen.
    Doch Mellors war aus all diesem hervorgegangen! – Ja, aber er stand ebenso abseits davon wie sie. Auch in ihm gab es kein Zugehörigkeitsgefühl mehr. Es war tot.

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