Lady Chatterley (German Edition)
dann sagte er:
«Keines von beidem, hoffe ich. Ich hoffe, es ist eine Prophezeiung.»
Connie beschäftigte sich weiter mit ihren Blumen.
«Ich habe heute morgen einen Brief von Vater bekommen», sagte sie. «Er möchte wissen, ob ich daran denke, daß er für mich Sir Alexander Coopers Einladung nach Venedig, in die Villa Esmeralda, angenommen hat, für Juli und August.»
«Juli und August?» wiederholte Clifford.
«Oh, ich würde nicht die ganze Zeit über dort bleiben. Möchtest du wirklich nicht mitkommen?»
«Ich reise nicht ins Ausland», erwiderte Clifford kurz.
Sie trug die Blumen zum Fenster.
«Hättest du etwas dagegen, wenn ich fahre?» fragte sie. «Du weißt, du hast es mir versprochen für diesen Sommer.»
«Wie lange würdest du da bleiben wollen?»
«Vielleicht drei Wochen.»
Sie schwiegen eine Weile.
«Na schön», sagte Clifford dann langsam, und ein wenig verdrießlich fügte er hinzu: «Drei Wochen, denke ich, könnte ich es aushalten – wenn ich die absolute Gewißheit hätte, daß du wiederkommen willst.»
«Ich würde wiederkommen wollen», sagte sie mit ruhiger Einfachheit, die keinen Zweifel ließ. Sie dachte an den anderen Mann.
Clifford spürte ihre Entschiedenheit, und irgendwie glaubte er Connie. Er glaubte, diese Entschiedenheit gelte ihm. Er fühlte sich unermeßlich erleichtert, und ganz plötzlich wurde er fröhlich.
«Wenn es so ist», sagte er, «denke ich, ist doch alles in Ordnung. Meinst du nicht?»
«Ich meine auch», erwiderte sie.
«Du würdest die Veränderung genießen?»
Sie sah ihn mit seltsamen blauen Augen an.
«Ich würde Venedig gern wiedersehen», sagte sie, «und von einer der Felseninseln aus, auf der Seite der Lagune, baden. Du weißt ja, ich hasse den Lido! Und ich kann mir nicht vorstellen, daß ich Sir Alexander Cooper und Lady Cooper leiden mag. Aber wenn Hilda da ist und wir eine Gondel für uns haben, dann wird es sicher wunderschön. Ich wollte, du kämst mit.»
Sie meinte es wirklich. Sie hätte ihn so gern auf diese Art glücklich gemacht.
«Ah, stell dir mich an der Gare du Nord vor oder am Kai von Calais!»
«Aber warum denn nicht? Ich habe schon andere Männer in Tragstühlen gesehen, die im Krieg verwundet worden sind. Außerdem würden wir doch die ganze Strecke im Auto fahren.»
«Wir müßten zwei Männer mitnehmen.»
«Ach was! Wir würden es schon mit Field schaffen. Es würde sich immer noch jemand finden.» Aber Clifford schüttelte den Kopf.
«Nicht dieses Jahr, mein Liebling! Nicht dieses Jahr! Nächstes Jahr – dann werde ich es wahrscheinlich versuchen.»
In trüben Gedanken ging sie aus dem Zimmer. Nächstes Jahr? Was würde das nächste Jahr bringen? Sie wollte im Grunde gar nicht gern nach Venedig reisen. Jetzt nicht mehr, da es den anderen Mann gab. Aber sie würde doch fahren, aus einer Art Disziplin und auch, weil Clifford glauben würde, daß sie in Venedig einen Liebhaber gehabt hätte, wenn sie ein Kind bekäme.
Es war schon Mai, und der Reisetermin war für Juni festgesetzt. Immer diese Planungen! Immer wurde einem das Leben vorgeplant! Räder, die einen trieben, vorwärtstrieben, und über die man keine Gewalt hatte.
Es war Mai, doch herrschten Kälte und Nässe. Ist der Mai kalt und naß, füllt’s dem Bauern Scheuer und Faß. Was galten heutzutage schon Scheunen und Fässer! Connie mußte nach Uthwaite fahren – das war das Städtchen, in das sie zuweilen kamen, und da waren die Chatterleys immer noch die Chatterleys. Sie fuhr allein, Field chauffierte.
Trotz Mai und jungem Grün sah das Land traurig aus. Es war ziemlich kalt draußen, und Rauch hing im Regen, und Spuren aufgestiegener Dämpfe durchzogen die Luft. Man konnte einfach nur von seiner Widerstandskraft leben. Kein Wunder, daß die Menschen hier häßlich und zäh waren.
Das Auto pflügte sich bergauf durch das langgezogene, schmutzige Tevershall, vorbei an den geschwärzten Backsteinhäusern, deren schwarze Schieferdächer ihre scharfen Kanten glitzernd vorstreckten; der Straßenschlamm war schwarz von Kohlenruß, die Pflastersteine naß und schwarz. Es war, als sei alles tief in Trübseligkeit getränkt. Die totale Verneinung natürlicher Schönheit, die totale Verneinung der Lebensfreude, das totale Fehlen des Sinnes für Gestalt und Maß, den jeder Vogel, jedes Tier besitzt, der totale Tod aller menschlichen intuitiven Kraft – das war erschreckend. Die Seifenstapel in den Krämerläden, der Rhabarber und die Zitronen in den
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