Lady Chesterfields Versuchung
Sie griff in ihren Nacken und löste das Diamantcollier. „Ich möchte, dass Sie das hier nehmen“, sagte sie errötend und hielt ihm den Schmuck hin.
„Behalten Sie es.“ Sacht drückte Michael ihre Finger über den funkelnden Steinen zusammen. Sie war so unschuldig, machte sich keine Vorstellungen davon, was es für Folgen haben würde, wenn er das Halsband annahm. Ihr Vater würde ihn des Diebstahls bezichtigen und nicht glauben, dass es ein Geschenk gewesen war.
„Sie brauchen doch einen Vorwand, um zurückzukehren.“ Unbeirrt legte sie das Collier in seine Hand.
Das klang allerdings vernünftig. „Sie haben recht.“ Der Schmuck verschaffte ihm einen glaubwürdigen Grund wiederzukommen, also ließ er ihn in seine Tasche gleiten.
„Sprechen Sie in ein oder zwei Tagen vor“, bat sie. „Und ich sorge dafür, dass Sie für Ihre Dienste entlohnt werden – gleichgültig, ob ich sie in Anspruch nehmen muss oder nicht.“
Auf keinen Fall würde er sich von ihr bezahlen lassen. Nicht einmal, wenn ich keinen Penny besäße. „Das ist nicht notwendig.“
„Doch, das ist es.“
In ihren grünen Augen entdeckte Michael bei aller Angst eine große Entschlossenheit.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich lasse nicht zu, dass mein Vater mein Leben zerstört“, erklärte sie trotzig. „Oder Ihres.“
Die alte Frau wanderte ziellos durch die Straßen, ihre scharlachrote Schute stach zwischen all den braunen, grauen und schwarzen Kopfbedeckungen der anderen Fußgänger auffallend heraus. Ohne sie aus den Augen zu lassen, bahnte Michael sich einen Weg zwischen den Ständen der Fischweiber und Gemüsehändler hindurch.
Mrs Turner hatte offenbar wieder die Orientierung verloren. Er beschleunigte seinen Schritt, bis er sie schließlich eingeholt hatte.
„Guten Morgen, Ma’am.“ Er tippte sich an den Hut.
In ihren silbergrauen Augen flackerte kein Zeichen des Erkennens auf, auch blieb sie nicht stehen, aber zumindest nickte sie ihm kurz zu.
Verdammt. Es sah ganz danach aus, als hätte sie heute einen ihrer weniger guten Tage erwischt. Mrs Turner war seit Jahren seine Nachbarin, doch in letzter Zeit wurde sie häufiger von Vergesslichkeit heimgesucht.
Er hatte es erst bemerkt, nachdem er im vergangenen November nach London zurückgekehrt war und ihr die verheerende Nachricht vom Tod ihres Sohnes Henry bei Balaklava überbracht hatte. Anfangs hatte Mrs Turner ihn noch versorgt und sich um ihn gekümmert, doch im Laufe der Wochen hatte sich ihr Verstand zusehends getrübt, und inzwischen gab es Zeiten, in denen sie sich ausschließlich an Dinge aus der Vergangenheit erinnerte.
Heute erkannte sie ihn nicht einmal.
Michael fragte sich, wie er ihrem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge helfen konnte. „Sie sind doch Mrs Turner, habe ich recht?“, sagte er und hielt mit ihr Schritt. „Aus der Nummer acht in der Newton Street?“
Sie blieb stehen und sah ihn furchtsam an. „Ich kenne Sie nicht.“
„Sie erinnern sich vielleicht nicht an mich“, erwiderte er rasch. „Aber ich bin ein Freund von Henry.“
Als er den Namen ihres Sohnes erwähnte, musterte sie ihn misstrauisch. „Ich habe Sie noch nie gesehen.“
„Henry bat mich, Sie nach Hause zu bringen“, erwiderte er sanft. „Darf ich Sie begleiten? Ich bin sicher, er hat einen Becher Tee mit Whisky für Sie dagelassen. Und ein schönes Marmeladenbrot.“
Bei der Erwähnung ihrer Lieblingsspeise begann ihre Unterlippe zu zittern. Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Habe ich mich wieder verlaufen?“
Michael nahm ihre Hand. „Nein, Mrs Turner.“
Er führte sie durch die belebten Straßen, und sie hielt seine Finger mit erstaunlicher Kraft umklammert. Als sie sich ihrem Zuhause am Peabody Square näherten, entspannte sie sich ein wenig. Michael brachte sie in ihre Wohnung und stellte fest, dass sie keine Kohlen mehr hatte. Also setzte er sie in ihren Schaukelstuhl, gab ihr eine Decke und bat sie zu warten.
Er besorgte einen Eimer Kohlen, kehrte in ihre Wohnung zurück und machte Feuer. Mrs Turner hielt immer noch die Schute in den Händen, die Michael ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Das leuchtende Rot gefiel ihr, und ihm erleichterte die auffällige Farbe, sie inmitten vieler Menschen wiederzufinden.
„Michael!“, sagte sie plötzlich lächelnd. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass du zu Besuch gekommen bist. Sei so freundlich, und koch uns einen Tee, ja, mein Lieber?“
Erleichtert, dass sie sich
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