Lady Chesterfields Versuchung
ich Ihnen mit der Schließe behilflich sein, Lady Hannah?“
Hannah nickte und wandte sich um. Mrs Turner öffnete den Verschluss der Perlenkette, nahm sie ihr ab und legte ihr stattdessen das Smaragdhalsband um, das Estelle ihr missmutig gereicht hatte.
„Estelle, Sie holen ein paar Erfrischungen für Lady Hannah“, wies die alte Dame die Zofe an. „Ein Glas Limonade und ein Stück Kuchen.“
„Schokoladenkuchen“, entfuhr es Hannah sehnsüchtig.
„Ganz genau.“ Mrs Turner schmunzelte.
„Aber Lady Rothburne hat streng untersagt …“
Mrs Turner schob die Zofe aus der Kabine und schloss die Tür hinter ihr. Zufrieden lächelnd wandte sie sich anschließend an Hannah. „Ich wollte mich bei Ihnen bedanken. Es war sehr freundlich von Ihnen, mir einen Schlafplatz anzubieten.“
„Es macht keine Umstände.“ Hannah mühte sich mit ihren Strümpfen ab, und Mrs Turner eilte ihr zu Hilfe.
„Falls Sie mir die Bemerkung gestatten …“ Fachkundig rollte sie einen Strumpf auf und reichte ihn Hannah. „Ich finde, Sie sollten sich eine Kammerzofe zulegen, die Ihnen gegenüber ein wenig loyaler eingestellt ist.“
„Da könnten Sie recht haben.“
Mrs Turner reichte ihr den zweiten Strumpf und half ihr auch bei den restlichen Sachen. Das grüne Kleid entlockte ihr einen entzückten Seufzer. Als Hannah schließlich fertig angekleidet vor ihr stand, lächelte die ältere Frau verträumt. „Er hat Sie wirklich ins Herz geschlossen, mein Michael, wissen Sie. Er erzählte mir, dass er Sie auf dem Ball des Marquess getroffen hat. Er war sehr beeindruckt von Ihnen.“
Hannah wusste nicht, wie es sein konnte, dass die Worte der fremden Frau ihr plötzlich ein Gefühl verursachten, als flatterten Schmetterlinge in ihrem Bauch. Sie kam sich vor wie ein schüchternes fünfzehnjähriges Mädchen, als sie nach ihrem Fächer griff und dem Drang widerstand, nachzufragen, was genau Michael über sie erzählt hatte.
Es spielt keine Rolle.
Natürlich. Wenn sie sich das noch hundertmal einredete, würde sie es vielleicht irgendwann glauben.
Es klopfte an der Kabinentür. Graf von Reischor war gekommen, um sie zum Dinner zu begleiten. Er murmelte ein Kompliment in einem deutschen Dialekt, doch bevor Hannah etwas erwidern konnte, entgegnete Mrs Turner, die ihnen gefolgt war: „Ja, sie sieht wirklich zauberhaft aus, nicht wahr?“
Überrascht richtete der Graf seinen Blick auf Mrs Turner. „Sie beherrschen unsere Mundart, Madam?“
Mrs Turner schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Wie kommen Sie denn darauf, Sir?“
Der Speisesaal war nichts weniger als prächtig und bot den nahezu vierhundert Passagieren der ersten Klasse ausreichend Platz. Die Tische, die zwischen üppig grünenden Topfpalmen standen, waren mit blütenweißem Leinen, erlesenem Tafelsilber und feinstem chinesischen Porzellan eingedeckt. Prächtig verzierte Messingkronleuchter spendeten den Speisenden warmes, helles Licht.
Einige der Gäste saßen bereits an den Tischen, und die Herren erhoben sich, als Hannah eintrat – unter ihnen auch Michael. Er trug eine schwarze Abendgarderobe und eine weiße Krawatte. Sein dunkles Haar hatte er zurückgekämmt. Doch selbst in der maßgeschneiderten Ausstattung wirkte er irgendwie fehl am Platz. Vielleicht, weil er sich unwohl zu fühlen schien und den Eindruck erweckte, nicht dazuzugehören. Vermutlich hätte er sein Essen lieber auf dem Zwischendeck eingenommen.
Nachdem Graf von Reischor sie vorgestellt hatte, nickte Hannah den übrigen Damen höflich zu. Ein Steward schenkte ihr ein Glas mit Wasser und ein zweites mit Wein ein.
Bisher war ihr niemals gestattet worden, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, und sie fragte sich, wie Wein schmecken mochte. Würde der Genuss zu einem Leben voller Sünde führen, wie ihre Mutter immer behauptete?
Sie stellte fest, dass noch niemand sein Glas angerührt hatte, und hielt sich zurück. Unterdessen begann der Graf, sie ihren Tischnachbarn vorzustellen.
„Der Marquess of Rothburne ist ein enger Freund von mir“, erklärte er höflich lächelnd. „Er bat mich, Lady Hannah zu ihren Verwandten nach Deutschland zu begleiten. Sie hat so viele Heiratsanträge bekommen, dass ihr Vater es für das Beste hielt, sie einige Zeit aus London fortzuschicken, damit sie sich schlüssig werden kann.“
Um ein Haar hätte Hannah sich verschluckt. Mit einer solchen Erklärung hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Einer der Gentlemen an ihrem Tisch
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