Lady Chesterfields Versuchung
schenkte ihr ein herzliches Lächeln und wandte sich an den Grafen. „Ich hoffe, sie ist noch nicht zu einer Entscheidung gelangt, Graf von Reischor.“
„Nein, ist sie nicht“, antwortete der Lieutenant an Reischors Stelle und bedachte den hoffnungsvollen Verehrer mit einem warnenden Blick.
Fester als nötig schloss Hannah die Finger um den Stiel ihres Weinglases. Woher nahm der Lieutenant sich das Recht, derart unhöflich zu sein? Er trat auf, als hätte er irgendeine Art von Besitzanspruch auf sie. In seinem Blick lag etwas Finsteres, nicht wirklich Eifersucht, aber etwas, das ihr eine Gänsehaut machte.
Kurz darauf wurde der erste Gang serviert. Hannah fiel auf, dass der Lieutenant die Gentlemen bei Tisch aufmerksam beobachtete, bevor er sein Besteck ergriff.
Wenn sein Blick dagegen auf ihr ruhte, war es, als würde er sie streicheln. Verlegen griff Hannah nach ihrem Glas und trank zum ersten Mal in ihrem Leben einen Schluck Weißwein. Er schmeckte intensiv fruchtig und keinesfalls sündig. Als sie zu Michael sah, hob er sein Glas, und sie ertappte sich dabei, wie sie gedankenverloren seine Lippen betrachtete und an die Küsse dachte, die sie getauscht hatten.
Die Erinnerung ließ sie wohlig erschauern, und Verlangen begann zwischen ihren Schenkeln zu pulsieren. Michael sah sie unverwandt an, es schien ihn nicht zu kümmern, dass sie nicht allein waren. Auf einem Schiff wie diesem gibt es zahllose Möglichkeiten, sich diskret zurückzuziehen, schien sein Blick zu sagen. Ohne dass irgendjemand es merkt.
Er ließ sie nicht aus den Augen, und sie erwiderte seinen Blick. Ob seine Lippen nach dem Wein schmecken würden, den er gerade trank, wenn sie ihn jetzt küsste?
„Lady Hannah?“ Die Stimme des Grafen riss sie aus ihren Träumereien. Sie hatte keine Ahnung, wovon gerade die Rede war. Beherzt trank sie einen weiteren Schluck Wein und lächelte ihn an. „Entschuldigen Sie, Sir. Ich war mit meinen Gedanken woanders. Was haben Sie gesagt?“
„Ich war im Begriff, den Lieutenant vorzustellen“, erwiderte er. „Meine Damen und Herren, darf ich bekannt machen? Lieutenant Michael Thorpe, Offizier der britischen Armee.“
Einer fülligen dunkelhaarigen Dame mit Rubinhalsband und passendem Armband, die dem Lieutenant gegenübersaß, entglitt der Löffel und fiel klappernd in ihren Suppenteller. Sie versuchte, ihr Missgeschick zu überspielen, indem sie tat, als sei es jemand anderem passiert.
„Sie reisen nach Lohenberg?“ Der korpulente Gentleman neben der Matrone mit dem Rubinschmuck wandte sich dem Lieutenant zu. „Meine Gattin stammt von dort.“ Er nickte der Dame zu, die den Löffel fallen gelassen hatte, und hob sich ein Lorgnon ans Auge. „Sie kommen mir irgendwie bekannt vor, Sir. Kann es sein, dass wir uns schon einmal begegnet sind?“
„Er sieht aus wie Seine Durchlaucht, Fürst Georg von Lohenberg“, erwiderte seine Gemahlin. Obwohl sie dabei lächelte, lag etwas kalt Berechnendes in ihrem Blick.
Lieutenant Thorpe hielt den Löffel so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er sah aus, als hätte er lieber einen Kopfschuss in Kauf genommen, als dieses Dinner zu ertragen. Doch die Behauptung der rubinbehängten Dame wies er nicht zurück.
Was hatte das zu bedeuten? Hannah versuchte, die Aufmerksamkeit des Lieutenant auf sich zu lenken, aber er hielt den Blick gesenkt, beinahe so, als habe er etwas zu verbergen.
„Du hast völlig recht, meine Liebe.“ Der korpulente Engländer strahlte über das ganze Gesicht und verzehrte einen weiteren Löffel Suppe, bevor er hinzufügte: „Ich hatte die Ehre, Seine Durchlaucht, den Fürsten, im letzten Sommer kennenzulernen, als er in Bayern zu Besuch weilte. Prächtige Berge übrigens, das muss ich sagen.“
Von Reischor stellte den Gentleman vor. „Lady Hannah, Lieutenant Thorpe, darf ich Ihnen Viscount Brentford vorstellen?“
Lord Brentford nickte ihnen freundlich zu und machte sie seinerseits mit seiner Gattin Ernestine und seiner Tochter Ophelia bekannt.
„Sehr erfreut, Lady Brentford.“ Hannah neigte höflich den Kopf in Richtung der Mutter, dann wandte sie sich mit einem freundschaftlichen Lächeln zu Lord Brentfords Tochter Ophelia Nelson. „Und natürlich freue ich mich auch, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Nelson.“
„Ganz meinerseits.“ Lady Brentford sah Hannah kaum an. Dann strahlte sie, dass ihr Doppelkinn eine prachtvolle Speckfalte bildete, und wandte sich betont in Richtung des Lieutenants.
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