Lady Chesterfields Versuchung
ihren Habseligkeiten kramten, nahm sie an, man würde ein Pfänderspiel spielen, bei dem man den persönlichen Gegenstand, den man einsetzen musste, nur dann zurückbekam, wenn man irgendein möglichst witziges Kunststückchen vollführte. Viscount Brentford war für die Rolle des Auktionators auserkoren worden, und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, freute er sich bereits auf die Ausübung seines Amtes.
Die Kellner brachten eine spanische Wand und stellten sie vor dem Tisch auf, sodass jeder sein Pfand ungesehen darauflegen konnte. Hannah wählte ein besticktes Taschentuch, verbarg es in ihrer Hand, bis sie hinter den Wandschirm getreten war, und deponierte es auf dem Stapel von Handschuhen, Schmuck, Schuhen und Krawatten.
Dann nahm sie bei den anderen Damen Platz und hoffte, dass der Lieutenant noch auftauchen würde. Jemand reichte ihr ein Glas Sherry, und sie nippte daran. Er schmeckte süß und weich, und sie fühlte, wie sie allmählich entspannte. Alkoholische Getränke schienen ihr nicht einmal annähernd so teuflisch, wie ihre Mutter sie immer darstellte. Lächelnd setzte sie das Glas auf einem Tisch neben sich ab und spürte, wie ihr warm wurde.
Zwei Gentlemen schoben den Sichtschutz beiseite und enthüllten den Tisch mit dem Stapel persönlicher Habseligkeiten.
„Meine Freunde, ich weiß, dass den meisten von Ihnen das Pfänderspiel vertraut ist“, begann der Viscount seine Ansprache. „Für den heutigen Abend möchte ich allerdings den Vorschlag unterbreiten, dass wir die Gewinne einer gemeinnützigen Einrichtung zukommen lassen, die sich um Londoner Waisenkinder kümmert.“ Er sah zu seiner Frau und seiner Tochter. „Bei der ersten Runde bieten die Damen auf einen Gegenstand, der einem Herrn gehört, bei der nächsten Runde die Herren auf den einer Dame – und so weiter. Der jeweils Meistbietende spendet den gebotenen Betrag, und um sein Eigentum zurückzuerhalten, muss der Besitzer des Gegenstandes dem Meistbietenden einen Gefallen tun, den dieser bestimmt.“
Das versprach ein skandalöses Spiel zu werden, eines, das zur öffentlichen Demütigung oder sogar einem Kuss führen konnte. Anhand der Mengen von Sherry, Wein und Brandy, die gereicht wurden, war Hannah beinahe sicher, dass die Dinge tatsächlich aus dem Ruder laufen würden.
„Der Gewinner einer jeden Versteigerungsrunde gibt dem Besitzer den Gegenstand zurück, sobald dieser den gewünschten Gefallen erbracht hat.“ Viscount Brentford griff hinter den Sichtschutz und zog eine schwarze Krawatte hervor, bevor er den Damen einen verschmitzten Blick zuwarf. „Sollen wir mit dem Bieten beginnen?“
Der arme Henry Vanderkind, der Besitzer der Krawatte, sah sich kurz darauf genötigt, auf allen vieren krabbelnd einen äußerst populären Gassenhauer zu singen, der vor Kurzem New York und anschließend London erobert hatte. Diesen Gefallen hatte sich Lady Howard ausgedacht, eine würdevolle Witwe, die auf die sechzig zusteuerte. Bei der Darbietung, für die sie fünfzig Pfund geboten hatte, liefen ihr vor Lachen die Tränen die Wangen hinunter.
Als Vergeltung bot Henry Vanderkind dreißig Pfund auf Lady Howards Lorgnon. Um es zurückzubekommen, musste die distinguierte Matrone meckern wie eine Ziege.
Hannah amüsierte sich königlich. Sie hatte den Überblick verloren, wie viele Gläser Sherry sie mittlerweile getrunken hatte, denn die Kellner sorgten dafür, dass ständig nachgeschenkt wurde.
Plötzlich schien sich der Raum zu drehen und die Stimmen verschwammen zu einem undeutlichen Summen. Hannah stellte ihr Glas ab und hoffte inständig, nicht wieder von Kopfschmerzen übermannt zu werden. Als jemand eine Käseplatte herumreichte, nahm sie dankbar eine Scheibe und verzehrte sie rasch. Just in diesem Moment fing sie einen Blick von Lieutenant Thorpe auf, der keineswegs amüsiert wirkte von dem ausgelassenen Treiben.
Doch als er bemerkte, dass Hannah zu ihm hinsah, flackerte Interesse in seinem Blick auf. Auf die Lehne eines der geschnitzten Stühle gestützt, musterte er sie, als sei sie die einzige Frau im Raum. Sämtliche anderen Anwesenden schienen zu verblassen, und Hannah wurde heiß, als sie seinen Blick erwiderte.
Sie wusste, dass es sich nicht gehörte, und dennoch konnte sie nichts dagegen tun – sie musste den Lieutenant einfach anstarren. Mit einem Mal schien ihr Kleid zu eng, und das Herz schlug ihr viel zu schnell in ihrer Brust. Irgendwann schaffte sie es, ihren Blick abzuwenden, und er hob sein
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