Lady Chesterfields Versuchung
Weinglas an die Lippen. Unwillkürlich stellte sie sich vor, dass es ihre Lippen wären, die er mit seinen berührte.
Der Lieutenant ging zur anderen Seite des Raums und vergrößerte demonstrativ die Entfernung zwischen ihnen. Aus dem Augenwinkel bemerkte Hannah, dass lediglich zwei Gegenstände auf dem Tisch verblieben waren: ihr Taschentuch und die Taschenuhr eines Gentlemans.
Der Viscount nickte seiner Tochter unauffällig zu, dann nahm er die Uhr in die Hand. Aus dem angespannten Gesichtsausdruck des Lieutenants schloss Hannah, dass es sich um seine handeln musste.
„Als Letztes versteigern wir diese Taschenuhr aus dem Besitz eines Gentlemans. Anhand des Gewichts würde ich sie auf achtzehn Karat Gold schätzen. Meine Damen, wer von Ihnen bietet fünf Pfund?“
Mehrere Hände flogen in die Luft, und Hannah bemerkte, dass der Lieutenant noch angespannter wirkte, obwohl er darum bemüht war, möglichst bewegungslos dazustehen und ausdruckslos in die Ferne zu starren. Er hatte seine Krawatte gelockert und den schwarzen Frackrock aufgeknöpft, sodass man die hellblaue Satinweste darunter sehen konnte. Kein Zweifel – es war seine Taschenuhr, die versteigert werden sollte.
Es wurden immer höhere Beträge geboten, jedes Mal begleitet von erwartungsvollem Lachen angesichts des Gefallens, den die jeweilige Bieterin zu verlangen gedachte.
„Bei so einem gut aussehenden Mann wie dem Lieutenant würde ich einen Kuss verlangen“, gestand eine der Damen ihrer Sitznachbarin flüsternd.
„Ich würde ihn auch so küssen“, entgegnete eine andere kichernd.
Zwar bot Hannah nicht mit, aber sie wollte auch nicht, dass der Lieutenant in eine peinliche Situation geriet. Aus der Art und Weise, wie er zur Tür sah, schloss sie, dass er sich mit dem Gedanken trug, den Salon einfach zu verlassen. Anscheinend kümmerte es ihn nicht, ob er die Uhr zurückerhielt. Vermutlich gehörte sie ohnehin dem Grafen von Reischor.
Schließlich gab Miss Nelson mit achtzig Pfund das höchste Gebot ab, woraufhin die Viscountess energisch den Kopf schüttelte und ihrer Tochter etwas ins Ohr flüsterte. Hannah wurde wütend, als sie es sah. Sie war sicher, dass Lady Brentford etwas gegen den Lieutenant im Schilde führte, und sie wollte nicht, dass er zum Gespött der Leute gemacht wurde.
„Einhundert Pfund“, hörte sie sich selbst sagen. Wenn sie schon sonst nichts tun konnte, würde sie Lieutenant Thorpe wenigstens vor einer öffentlichen Blamage bewahren.
Um sie herum setzte lautes Getuschel ein, und eine der Damen bedachte sie mit einem so finsteren Blick, als wollte sie Hannah mit einer Hutnadel erstechen.
„Einhundertundzehn“, erhöhte Miss Nelson.
„Zweihundert.“ Hannah wusste nicht, ob es am Sherry lag, dass sie sich so weit vorwagte. Was sie jedoch ganz sicher wusste, war, dass sie bei dieser Auktion nicht unterliegen wollte.
Sie kriegen ihn nicht, hätte sie Miss Nelson am liebsten gesagt, doch es schien, als hätte die Höhe ihres Gebots der jungen Dame ohnehin die Sprache verschlagen. „Bietet jemand mehr?“, fragte Viscount Brentford, aber niemand ging darauf ein. Hannah stand auf und musste sich einen Moment an den Armlehnen ihres Stuhls festhalten, bis der Raum aufhörte, sich um sie zu drehen. Dann setzte sie eine entschlossene Miene auf und ging nach vorne.
„Was fordern Sie als Gefallen von Lieutenant Thorpe, Lady Hannah?“, wollte der Viscount wissen.
Hannah sah zu Michael, der ihren Blick erwiderte und die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt hatte. Er sah nicht aus wie jemand, der bereit war, irgendetwas zu geben, was sie von ihm einforderte.
„Nichts“, erwiderte sie leise.
Ungläubig starrte der Lieutenant sie an. Doch als sie mit der Taschenuhr in der Hand auf ihn zuging, stand ein kaum wahrnehmbarer Ausdruck von Anerkennung in seinen Augen.
„Aber, Lady Hannah, das verstößt gegen die Regeln!“, protestierte eine der älteren Damen. „Er muss etwas tun, um die Uhr zurückzubekommen. Vielleicht lassen Sie ihn ein Lied singen. Oder er erfreut uns mit der Darbietung seiner Kampfkunst.“ Die Frau ließ ihren Blick über die muskulöse Statur des Lieutenants gleiten, die sich unter seiner perfekt sitzenden Kleidung abzeichnete.
Hannah blieb stehen. „Ich behalte mir vor, den Gefallen später einzufordern“, erwiderte sie und bedauerte ihre leichtsinnigen Worte, sobald sie das entzückte Aufstöhnen vernahm, das durch die Reihen der Damen ging. Doch bereits einen Moment später galt
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