Lady Chesterfields Versuchung
zu. Michael wurde schwarz vor Augen, er rang verzweifelt nach Luft und zerrte an der tödlichen Schlaufe, bis es ihm gelang, sie über den Kopf zu streifen. Er warf sich zu Boden und trat seinem Angreifer die Beine unter dem Körper weg, sodass er der Länge nach hinfiel.
Michael stürzte sich auf den Mann – wild entschlossen herauszufinden, was zum Teufel hier vor sich ging.
11. KAPITEL
E ine mächtige Welle erfasste das Schiff. Michael verlor das Gleichgewicht, stürzte und schlug mit dem Kopf gegen den Mast hinter ihm. Vor Schmerz stöhnte er auf. Salzwassergischt sprühte zischend auf das Deck, und er hörte jemanden Befehle brüllen.
Als er zu der Stelle zurückgekrochen war, an der man ihn angegriffen hatte, war der Schurke, der versucht hatte, ihn zu erdrosseln, verschwunden – so spurlos, als habe es sich um einen Geist gehandelt. Lediglich die schmerzenden Abschürfungen an Michaels Kehle zeugten von dem missglückten Anschlag auf sein Leben.
„Lieutenant Thorpe?“, hörte er plötzlich Lady Hannahs Stimme. Ihrem fragenden Tonfall nach zu urteilen, hatte sie nicht gesehen, was vorgefallen war.
Hoch konzentriert spähte Michael in die Dunkelheit, für den Fall, dass der Unbekannte zurückkehrte. Er durfte nicht riskieren, dass Lady Hannah in Gefahr geriet.
„Ist alles in Ordnung?“ Sie trat zu ihm und musterte ihn forschend. „Sie wirken ein wenig derangiert.“
„Es geht mir gut.“ Seine Stimme klang heiserer, als ihm lieb war, und er hüstelte, um davon abzulenken. Dann nahm er ihr Spitzentüchlein aus der Tasche und reichte es ihr. Im Gegenzug gab sie ihm die Uhr zurück. Ihre Finger verweilten einen Moment länger auf seiner Handfläche, als schicklich war.
Plötzlich hörte er das Schlurfen von Schritten hinter sich. Er wusste nicht, ob es sich um einen Passagier oder seinen Attentäter handelte, aber er wollte kein Risiko eingehen. „Wir müssen vom Deck herunter. Sofort.“ Er griff nach Hannahs Hand und zog sie mit sich durch die Tür in den Treppenaufgang, der zu den Kabinen der ersten Klasse führte. Er brauchte eine Weile, bis er ihre in dem Gewirr von Korridoren gefunden hatte, und war froh, dass sie sich widerspruchslos von ihm dorthin führen ließ.
„Wo ist Ihre Zofe?“, fragte er besorgt. „Warum sind Sie allein?“
„Es ist schon spät, darum habe ich sie für heute entlassen. Ich hielt es nicht für nötig …“
„Sie sind auf diesem Schiff nicht sicher, wenn Sie alleine sind“, unterbrach er sie barsch. „Zu keiner Zeit.“
Als er die Tür öffnen wollte, berührte Hannah ihn am Hals. „Du meine Güte, was ist mit Ihnen geschehen? Sie bluten ja!“, flüsterte sie erschrocken.
„Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.“
Er wollte gehen, doch sie hielt ihn auf. „Warten Sie dort drüben, bis ich meine Zofe und Mrs Turner fortgeschickt habe. Und wagen Sie es bloß nicht, zu verschwinden. Wir sind noch nicht fertig mit unserem Gespräch.“
Es stand außer Zweifel, dass sie es ernst meinte. Lady Hannah war starrsinniger, als gut für sie war. Als sie ihre Kabine betreten hatte, suchte er Deckung hinter der nächsten Ecke.
Einige Minuten später ging die Tür wieder auf, und Mrs Turner und Estelle traten heraus. Michael wartete, bis die beiden Frauen außer Sichtweite waren, dann ging er zu der Kabinentür, öffnete sie und trat ein.
Hannah stand in der Mitte des Raumes. Sie wirkte unsicher – aber wie auch nicht? Es war absolut ungehörig, dass sie ihn überhaupt empfing, geschweige denn allein in ihrer Kabine.
„Sie hätten die beiden nicht fortschicken brauchen.“
„Sie würden mir vor Zeugen nicht die Wahrheit erzählen. Außerdem ist es das Beste, wenn niemand von unserem Gespräch erfährt.“ Hannah nickte ihm zu. „Kommen Sie, setzen Sie sich, damit ich mich um Ihre Verletzung kümmern kann.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, trat sie an ihre Frisierkommode, goss Wasser in die Waschschüssel und tauchte ihr Taschentuch hinein, zuckte indes merklich zusammen, als sie seine Verletzung von Nahem sah. Michael verkniff sich ein nachsichtiges Lächeln. Wahrscheinlich hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie eine ernsthafte Verletzung zu Gesicht bekommen. Um ihr die Peinlichkeit zu ersparen, nahm er ihr das feuchte Tuch aus der Hand und tupfte seinen Hals selbst ab. Er war erstaunt zu sehen, wie stark er geblutet hatte.
„Erzählen Sie mir, was geschehen ist“, verlangte sie und sah ihm in die Augen, sichtlich darum bemüht, die
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