Lady Ghoul
anderen direkt auf mich zukamen und sich mit mir beschäftigten. Es Waren mehrere Frauen, die sich bückten.
Ich spürte ihre Hände an den Seiten, auch unter den Achseln, dann wurde ich hochgehoben und weggeschleppt.
Die Frauen flüsterten miteinander. Ich verstand kein Wort, zudem wurden sie von einem anderen Geräusch übertönt.
Ein Brausen und Klatschen. Das mußten die Wellen sein, die mit ungeheurer Wucht gegen die Felsen tobten und den weißen Schaum der Brandung in die Höhe schleuderten.
Sie trugen mich weg und gingen dabei schaukelnd. Ich hatte keine Chance, an meine Waffen heranzukommen, denn andere Frauen richteten die Gewehrmündungen auf mich.
Bisher hatte ich den Himmel nicht sehen können. Jetzt änderte sich dies. Auch kühler Wind strich mir entgegen. Er brachte ebenfalls Feuchtigkeit mit, kleine Wassertropfen, die mein Gesicht benetzten. Den Schaum der abgetriebenen Brandung.
»Legt ihn nieder!«
Die Stimme klang zwar verzerrt in meinen Ohren, ich hatte sie trotzdem erkannt.
Sie gehörte Agatha, die auf uns gewartet hatte und neben mir erschien, das Gewehr in der Hand.
Ich schaute kurz zu ihr hoch, sah das Gesicht mit den roten Augen jetzt deutlich über mir schweben und auch das scharfe Grinsen, das ihren Mund kerbte.
Dann ließ man mich los.
Wieder fiel ich, das Herz übersprang einen Schlag, ich bekam für einen Moment Panik und prallte mit dem Rücken auf etwas Hartes, das unter mir nicht glatt, sondern wellig und gebogen war.
Vier Frauen hielten mich fest. Zwei an den Armen, die beiden anderen an den Beinen.
Andere wiederum entfalteten eine fieberhafte Tätigkeit. Sie hielten Peitschen in den Händen, ich rechnete mit harten Schlägen, bis ich sah, daß es Stricke waren.
Für mich waren sie gedacht, und sie wurden um meinen Körper geschlungen und gleichzeitig um den Gegenstand, auf dem ich lag. Beobachtet wurde ich dabei von Agatha und ihrem dritten Auge, der Gewehrmündung.
Die Frauen spannten die Stricke sehr hart um meinen Körper. Sie zurrten sie regelrecht fest, verknoteten sie, und schließlich kam ich mir vor wie ein Schinken, eingeschnürt von den Fußknöcheln bis hoch zum Hals.
Agatha nickte zufrieden. Sie scheuchte die anderen zur Seite, weil sie mit mir reden wollte.
»Weißt du, wer neben dir liegt?«
»Nein, ich kann ihn nicht sehen.«
»Dein Freund.«
Ich grinste schief. »Das hätte ich mir denken können. Ist er tot, oder lebt er wie ich?«
»Ihr lebt beide. Ihr habt das Richtige gewählt.« Sie lachte. »Eine Kugel wäre auch mir zu schade gewesen. Bei dieser Art zu sterben, hat jeder etwas davon. Ihr und Celeste.«
»Wie konnten wir überleben?« Das interessierte mich in diesem Moment am meisten.
»Ganz einfach. Der Brunnen endet in einer Höhle. Ihr seid nicht auf den harten Boden gefallen. Wir haben dafür gesorgt, daß dort Schaumstoff lag, ein Material, das euch abfing, ovwohl ihr fast bewußtlos wart. Der Fall war eben zu rasant, aber das war auch beabsichtigt. Ein Jahr haben wir uns Zeit gelassen, um die Fallen aufzubauen. Der Brunnen ist die beste von allen.«
»Das habe ich festgestellt.«
»Weißt du auch, wo du liegst?« Sie kniete sich hin. Das Gewehr hatte sie in die Armbeuge geklemmt. Die Mündung näherte sich meinem Gesicht und zitterte davor.
»Nein.«
»Auf Holz«, sagte sie lächelnd. »Aber auf einem ganz besonderen Holz. Wir haben es mühevoll hergeschafft, um daraus die beiden Flöße herstellen zu können. Gefesselt auf einem Floß, ins Meer geschoben, um dort eins zu werden mit Wind, Wellen und Himmel. Das ist die romantische Seite meines Sterbeplans, die andere folgt auch. Das Meer ist gefährlich«, flüsterte sie. »Besonders hier um die Insel Aguras herum, denn in der liefe lauert jemand, der sich sehr auf euch freut. Celeste! Weißt du nun Bescheid?«
»Ja, du brauchst nichts mehr zu sagen.«
»Wunderbar. Dann kann ich dir nur eine gute Reise wünschen. Wir werden am Ufer stehen und dich beobachten, wenn Lady Ghoul, wie du sie genannt hast, auftaucht. Sie wird euch ertränken und dann…«
Agatha lachte, als sie wieder aufstand und mit lauter Stimme den Befehl gab, die Flöße ins Wasser zu schaffen.
»Auf daß Celeste endlich ihre Opfer bekommt!« schrie sie. Die Hand mit dem Gewehr stemmte sie in die Luft. Sie wirkte wie eine wilde Partisanin.
***
Wir schaukelten auf der Dünung. Die Brandung hatten wir überwunden, und es war nicht einfach gewesen. Anrollende Wellen hätten uns überspült, auch für längere
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