Lady Ghoul
selbst habe es nicht gesehen. Ich kann es mir aber gut vorstellen.«
»Dann weißt du auch, daß…« Ernie stellte das Glas weg und schlug die Hände wieder vor das Gesicht. So blieb er sitzen, verbissen in seinem Schmerz, bis er irgendwann aufstand und sich von Özal verabschiedete.
»Ich gehe jetzt hoch.«
»Ja, leg dich hin und schlaf. Es ist schon spät geworden. Morgen werden wir weitersehen.«
»Ja, morgen«, erwiderte Ernie. Er ging breitbeinig und mit schwankenden Bewegungen. Der Alkohol zeigte seine Wirkung. Im Zimmer ließ er sich angezogen auf das Bett fallen. »Morgen«, wiederholte er noch einmal. »Nein, Özal, ich werde nicht vergessen, ich kann nicht vergessen. Niemals…«
Er schlief ein, sackte förmlich weg und träumte nicht einmal von den schrecklichen Ereignissen.
Vergessen konnte er tatsächlich nicht. Er verdrängte es nur. Dabei hätte Ernie nie gedacht, daß er noch einmal an diesen Fall erinnert würde. Das war in London, fast ein Jahr nach der grausamen Untat…
***
Die Palmen standen im Vordergrund, und sie wuchsen auf hellem Sand. Im Hintergrund schimmerte blau das Meer. Der Himmel war wolkenlos, das Hotel fügte sich in die Landschaft ein, sein Dach erreichte nicht einmal die Höhe der Palmen. Kaffeebraune Mädchen servierten eisgekühlte Drinks an der Strandbar. Ein Traumleben. Auch ich träumte, fühlte mich schon in der Sonne, schmeckte den Wind und hörte die Eiswürfel in den Gläsern klingen.
»Träumst du, John?«
Ich schreckte hoch, als ich die weibliche Stimme hörte, wischte über meine Augen und drehte den Kopf nach links, wo meine Sekretärin Glenda Perkins stand und mich anlächelte.
»Hättest du nicht noch warten können?«
Sie lachte und deutete mit dem Zeigefinger auf den bunten Prospekt.
»Davon hast du geträumt?«
»So ist es.«
»Du willst nach…?«
»Hawaii…« Ich hob die Schultern. »Ein herrliches Stück Erde, das für mich nur ein Traum bleiben wird.«
»Hast du keinen Urlaub mehr?«
Ich verzog den Mund. »Hör auf, mich auf den Arm zu nehmen. Die Urlaubstage, die ich noch zu bekommen habe, die kann ich gar nicht zählen. Es wären bestimmt zwei Jahre.«
»Übertreib mal nicht.«
»Doch, stimmt.«
Glenda nahm auf der Schreibtischkante Platz. Sie trug einen dieser modern gewordenen Ballonröcke von dunkelgrüner Farbe. Als Gürtel hatte sie eine braune Schärpe gebunden. Im Stoff ihres flauschigen Pullovers wiederholte sich das Braun. Modeschmuck baumelte um ihren Hals. Wenn sie sich bewegte, klirrten die einzelnen Kettenglieder. Ich schaute auf ihre Knie und noch etwas höher. Sie sah es, zog den Rock aber nicht tiefer, wahrscheinlich ging das auch nicht. »Willst du denn allein fahren?« fragte sie mich.
»Weiß nicht.«
»Ich hätte auch noch Urlaub zu bekommen, aber wenn ich die knackigen Girls sehe, die euch Touristen dort bedienen, dann…«
»Moment, Glenda, was heißt hier euch Touristen? Noch bin ich nicht weg. Ich weiß auch nicht, ob ich jemals fahren werde. Träumen ist doch nicht verboten.«
»Das bestimmt nicht.«
»Und ich würde dich auch mitnehmen.«
Glenda schüttelte ihr dunkles Haar aus, legte den Kopf nach hinten und lachte. Sie war eine verdammt hübsche Person. Wenn ich sie so anschaute, erinnerte sie mich an die Schauspielerin Deborah Shelton, die in der »Dallas-Serie« die Mandy Winger spielte. Neben Glenda verblaßten viele Frauen.
»Nett von dir, John, wirklich nett.« Sie beugte sich wieder vor und streichelte meine Wange. Das konnten wir uns erlauben, da wir allein im Büro waren.
»Aber es würde kaum klappen. Stell dir vor, Sir James steht allein hier. Er würde ja…«
»Meinst du, daß er nicht auf dich verzichten kann?«
»Auf mich ja. Wie sieht es bei dir aus?«
»Suko übernimmt die Fälle.«
»Den Vorschlag unterbreite ihm mal, John.«
»Wir könnten ja über Weihnachten fahren. Schau mal nach draußen. Das Wetter ist doch mehr als mies. Herbst von seiner schlimmsten Seite. Regen, Wind, bald kommt der nasse Schnee, und dann halte mal Hawaii dagegen. Sonne, Palmen, Mädchen, kühle Drinks, das Meer…«
»Bevor du wieder ins Schwärmen oder Träumen gerätst, möchte ich dir sagen, daß wir Besuch erwarten. Denk daran, daß du an diesem Montag einen Termin abgemacht hast.«
»Ach so — ja.« Ich schlug vor meine Stirn. »Wie heißt der Knabe noch gleich?«
»Ernie Balsam.«
»Den kenne ich nicht.«
»Aber er wollte dich sprechen, nur dich.«
»Dann hat er von mir gehört.« Ich
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