Lady Ghoul
empfand Ernie als störend.
Er hörte es gluckern, als Özal den scharfen Schnaps in das Glas goß.
»Trink, er wird dir helfen.«
Ernie nahm das Glas entgegen, bedankte sich, setzte es an die Lippen, trank und mußte sich sofort schütteln.
Özal wartete. Er war ein grauhaariger Mann mit einem mächtigen Oberlippenbart, der ebenfalls schon eine graue Farbe angenommen hatte. Auch er kannte die alten Geschichten, das wußte Ernie. Nicht umsonst hatte Phil oft bei ihm gesessen.
Er trank auch den Rest.
»Möchtest du noch einen?«
»Ja. Den ersten habe ich auf meinen Freund Phil getrunken.« Ernie sprach mit rauher Stimme. Erbrachte die Worte kaum anständig hervor.
»Und den zweiten?«
»Trinke ich auf dich.«
»Danke.« Das war der Moment, wo auch Özal seine Vorsätze über Bord warf und sich ebenfalls einen Schluck genehmigte. Die beiden Männer stießen an und tranken. Ernie sah den Türken dabei an.
»Ich bin allein gekommen, du hast recht.«
Özal nickte. »Die See hat deinen Freund behalten.«
»Ja…«
Der türkische Wirt holte durch die Nase Luft. »Es… es mußte so kommen«, sagte er nach einer Weile.
»Wieso?«
»Weil sich dein Freund mit Dingen beschäftigt hat, die man ruhen lassen soll.«
»Meinst du?«
»Wenn ich es dir sage.«
»Aber das sind Legenden, das sind Märchen, das sind Geschichten.«
Ernie wollte es einfach nicht glauben. »Ich habe…«
»Manchmal werden Geschichten wahr, mein Freund. Phil Garner hat es erlebt.«
»Und ich auch«, flüsterte Ernie. »Sie… sie stieg aus dem Meer wie eine Göttin. Dabei war sie genau das Gegenteil von dem. Sie war keine Göttin, sie war eine Mörderin.«
»Celeste?«
»So ist es. Ich habe sie gesehen, und ich habe auch das gesehen, was von Phil übriggeblieben war. Ein halber Arm und Knochen, das ist alles gewesen.«
Özal rührte sich nicht. Er starrte ebenfalls in die Weite hinein und hielt sein Glas mit beiden Händen fest.
Ernie trank. Dann nahm er die Flasche und goß sich erneut ein. Er hatte plötzlich das Gefühl, sich betrinken zu müssen, um den Schmerz vergessen zu können.
Özals Frau kam, wurde aber weggeschickt, sie wollten allein bleiben. Fast zehn Minuten verstrichen. Ernie spürte bereits die Wirkung des Alkohols. Seine Gedanken waren schwer geworden, er schaffte es nicht mehr, sich zu konzentrieren, ihn überkam auch eine gewisse Müdigkeit.
»Manchmal taucht sie hoch«, hörte er die Stimme des Türken. »Dann kommt sie aus den Tiefen.«
»Celeste?«
»Ja. Sie lebt. Ich habe es gewußt, viele hier wissen es, aber sie reden ungern darüber.«
»Weshalb tötet sie?«
Özal nickte. »Das ist eine gute Frage, eine sehr gute sogar. Ich würde sagen, daß sie töten muß, um überleben zu können. Verstehst du das? Sie braucht die Opfer.«
»Nein!« Plötzlich war Ernie wieder nüchtern. »Ich kann es nicht verstehen. Wieso braucht sie Opfer?«
»Sie ist ein Wesen, für das man viele Namen hat. Einer davon trifft wohl besonders zu. Er stammt aus einer orientalischen Sprache, aus dem Arabischen, doch ihr habt ihn übernommen, wie ich weiß. Es ist ein schlimmes Wort.«
»Sag es schon, bitte.« Ernie legte eine Hand auf Ozals Schulter und schüttelte ihn.
»Ghoul. Das Wort Ghoul, kennst du es?«
Ernie Balsam wischte über seine Stirn. »Ja, ich glaube, daß ich es schon einmal hörte. Ist es sehr schlimm?«
»Ein Ghoul tötet Menschen. Was er danach mit ihnen macht, muß ich dir das noch sagen?«
»Nein, nein!« Balsam schüttelte heftig den Kopf. »Du brauchst es nicht, um Himmels willen.«
»Du hast es ja gesehen.«
»So ist es.«
»Und deshalb möchte ich dich bitten, es zu vergessen, Ernie. Vergiß es einfach. Vergiß Celeste, vergiß deinen Freund, vergiß das Grauen. Streiche am besten alles aus deiner Erinnerung. Nur so wirst du vernünftig weiterleben können.«
Balsam lauschte den Katschlägen des Wirtes nach. »Vergessen?« flüsterte er dann. »Ich soll alles vergessen?«
»Wenn du schlau bist.«
»Das kann ich nicht, Özal. Ich kann einfach nicht vergessen. Es ist zuviel geschehen. Die Dinge waren einfach grausam und fürchterlich. Sie haben sich in meine Erinnerung eingegraben und…«
»Bitte…«
»Warum sagst du das, Özal?«
»Weil auch wir hier vergessen wollen. Wir möchten einfach nicht daran erinnert werden.«
»Das kann ich verstehen, aber hast du je gesehen, wie sie aus dem Wasser stieg und Knochen…?« Er konnte nicht mehr weitersprechen und senkte den Kopf.
»Nein, ich
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