Lady Helenes skandaloeser Plan
die Tür zum Wohnzimmer öffnete, musste Helene kurz innehalten, um sich zu sammeln. Lina McKenna hatte sich verändert – dies war nicht mehr das unbedarfte junge Mädchen von einst.
Neben Rees’ Bruder saß eine der schönsten Frauen, die Helene je gesehen hatte. Sie trug ihr Haar zu einer glänzenden braunen Lockenfrisur aufgetürmt, und kurz ergriff Helene ein heftiger Schmerz über den Verlust ihrer eigenen Haare. Die Augen der jungen Frau strahlten Intelligenz, Neugier und Humor aus. Und ihr Abendkleid war weder unziemlich geschnitten noch enthüllte es mehr Busen, als in der vornehmen Gesellschaft als schicklich galt. Dennoch war es ein Busen, der in seiner Fülle dem Esmes Konkurrenz machen konnte.
Helene hätte fast kehrtgemacht und wäre wieder auf ihr Zimmer geflüchtet. Wie konnte sie mit einem derart hinreißenden Geschöpf am selben Tisch sitzen – sie, eine magere, vertrocknete Person? Wäre Miss McKenna als Debütantin vorgestellt worden, dann hätte sie als Diamant reinsten Wassers gegolten.
Doch dann schaute Rees auf und entdeckte Helene. Es war nur ein flüchtiger Blick, mit dem er sie jedoch vom Scheitel bis zur Sohle betrachtete. Helene konnte nicht erkennen, was er dabei dachte, doch das war auch gar nicht nötig. Er konnte gar nicht anders, als ihre Erscheinung zu missbilligen. Doch was focht es sie an, wenn sie im Vergleich zu seiner Geliebten wenig verlockend wirkte? Schließlich war auch Rees mit seinen zerzausten Locken, seinem stämmigen Körper und seinen allzu betonten Muskeln im Vergleich zu Mayne kaum attraktiv zu nennen.
Sie betrat das Zimmer. Rees’ Bruder sprang sogleich auf und kam mit ausgestreckten Händen auf sie zu. »Helene«, sagte Tom und küsste ihr die Hand, »Sie sehen wunderbar aus.«
Helene schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, sie erinnerte sich noch aus dem ersten Jahr ihrer Ehe lebhaft an seine freundlichen braunen Augen. Tom sah wirklich sehr gut aus, Rees zwar ähnlich, doch im Gegensatz zu diesem gepflegt und zivilisiert. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Mr Holland.« Und es kam aus tiefstem Herzen.
»Bitte sagen Sie doch Tom zu mir«, erwiderte er und drückte ihre Hand. »Sind Sie sicher, dass Sie unter den gegebenen Umständen in diesem Haus bleiben möchten?«
Wieder lächelte sie, doch diesmal verhalten. »Rees und ich haben eine Abmachung«, erklärte sie kurz und wandte sich dann der Couch zu.
Miss McKenna hatte sich ebenfalls erhoben. Wahrscheinlich, um ihre bemerkenswerte Figur zu präsentieren, dachte Helene bitter. »Lady Godwin«, sagte sie nun und sank in einen Knicks, der einer Königin gebührt hätte, »darf ich sagen, dass es eine Überraschung ist, Sie wiederzusehen?«
Helene nickte verständnisvoll. »Für mich kommt es auch sehr überraschend.« Sie konnte die Geliebte ihres Gatten nicht mit einem Knicks begrüßen, das war einfach zu viel verlangt. Sie nahm daher Platz und merkte, dass sie zitterte. Sie faltete ihre Hände im Schoß und zwang sich zur Ruhe.
»Ich hole Ihnen einen Brandy«, sagte ihr Schwager leise. »Bin gleich wieder da.«
Helene trank nie scharfen Alkohol, doch jetzt stürzte sie das Glas in einem Zug hinunter und konzentrierte sich darauf, wie die brennende Flüssigkeit durch ihre Kehle rann. Wenn sie gewusst hätte, dass Miss McKenna so schön war, dann hätte Rees sie mit Gewalt herschleifen müssen. Vor zwei Jahren war Miss McKenna noch ein schüchternes Mädchen gewesen, doch mittlerweile war sie zu einer eindrucksvollen Frau herangereift.
Der Brandy wärmte sie und erfüllte sie mit dem Mut der Trunkenheit. Für einen Monat werde ich es aushalten können, redete sie sich ein. Es dauert doch nur einen Monat. Gemeinsam mit Esme hatte sie beschlossen, dass Rees seinen ehelichen Pflichten täglich nachkommen musste. Einen Monat lang.
Tom brachte ihr noch einen Brandy, und Helene stürzte auch diesen hinunter, spürte das brennende Feuer, das ihren Magen wärmte. »Gemach, gemach«, sagte er mit priesterlicher Stimme.
Er war wirklich ein netter Mann. »Wie schade, dass ich nicht Sie geheiratet habe«, gestand Helene mit leichtem Schluckauf. »Sie haben das gleiche Haar und die gleichen Augen wie mein verkommener Ehemann, und Sie hätten nie … niemals …«
»Wahrscheinlich nicht«, meinte Tom und tätschelte ihre Hand. »Doch von Musik verstehe wiederum ich nichts.«
»Oh«, machte Helene. »Das ist aber wirklich schade.« Allmählich überkam sie ein Gefühl der Erheiterung. Und wenn ihr Mann
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