Lady Helenes skandaloeser Plan
»Reverend«. Nicht mehr »Tom«.
»Ich heiße Tom!«, sagte er, und wieder hätte kein Schäfchen seiner Herde seine Stimme wiedererkannt.
»Wenn ich dich Tom nenne«, flüsterte sie, öffnete endlich die Augen und sah ihn an, »wirst du mich dann die ganze Nacht küssen?«
Er erstarrte. Er war überzeugt, dass sie ihm die Qual ansehen konnte, die sein Körper litt. »Ich kann nicht mit dir schlafen«, sagte er brüsk. »Auch wenn du nicht meinem Bruder gehörtest …«
»Dein Bruder hat mein Schlafgemach seit Monaten nicht mehr betreten.« Sie fuhr mit den Fingerspitzen an seiner Wange entlang, hinterließ eine flammende Spur. »Und davor auch nicht eben häufig.«
»Darum geht es nicht!«, stieß er hervor. »Ich könnte ohnehin nicht mit dir schlafen, weil ich« – er sammelte seine ganze Kraft, denn noch nie hatte er etwas so Schweres sagen müssen – »weil ich fest daran glaube, dass Intimität nur in der Ehe stattfinden sollte.«
Konnte Salome jemals so schön gewesen sein?
»Sind Küsse denn nicht intim?« Sie sah ihn forschend an.
»Küsse mögen ja noch angehen«, brachte er heraus. Nun strichen ihre kleinen Hände über seine Brust. »Aber die Art, wie du mich berührst, ist unziemlich, Lina.«
Sie nahm sogleich ihre Hände fort, wirkte jedoch keineswegs verlegen.
Er nickte und schob sie von sich. Lina hörte nicht, wie er »Gott helfe mir« murmelte, weil er bereits den halben Weg zu seinem Schlafzimmer zurückgelegt hatte.
19
Der Haushalt ist wieder vollzählig
Helene fuhr in einer Droschke vor. Sie machte sich gar nicht erst die Mühe anzuklopfen, sondern sagte ihrer Zofe, sie solle die Tür einfach aufdrücken. Saunders war wie vor den Kopf geschlagen gewesen, als Helene ihr mitteilte, sie gedenke ins Haus ihres Mannes zurückzukehren. Nun blickte sie sich in der Halle um, als erwartete sie, dass hinter der nächsten Ecke der Teufel in Person lauerte.
»Wo ist denn der Butler?«, erkundigte sich die Zofe schließlich so behutsam, als befände man sich im Domizil des Prinzregenten. Helene hatte ihre Pelisse abgestreift und suchte nach einem einigermaßen sauberen Ort, um sie abzulegen.
»Gott weiß wo«, erwiderte sie. »Sein Name ist Leke, und er ist ein durchaus anständiger Mann. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie er dieses Haus ohne genügend Personal in Ordnung hält.«
Saunders entdeckte nun den Staub und die Spinnweben, die in sämtlichen Ecken hingen. Sie kräuselte verächtlich die Lippen. »Harries würde das Haus sauber halten, und wenn er dafür auf Knien herumkriechen müsste.«
»Zweifellos werden wir mein Zimmer gründlich säubern müssen«, verkündete Helene grimmig und stieg bereits die ersten Stufen hoch.
Im nächsten Stock stutzte Saunders, doch Helene wandte sich der nächsten Treppe zu und stieg unbeirrt weiter. Sie hatte Saunders die unerfreuliche Tatsache verschwiegen, dass Rees sich weigerte, seine Mätresse aus dem Haus zu weisen. Es hatte schon genug Aufregung gegeben, als sie ihren Entschluss verkündete. Die Wahrheit war zum Verrücktwerden. Sie war verrückt.
Niemand schien zu begreifen, dass ihr der Wunsch nach einem Kind über alles ging, selbst über ihre Würde. Wenn sie eine kurze Zeitspanne der Demütigung für ein lebenslanges Mutterglück eintauschen musste, dann sollte es eben so sein. Außerdem hoffte sie, dass die Anwesenheit von Rees’ Bruder – immerhin ein Vikar! – das Haus mit einer gewissen Ehrbarkeit weihen würde.
Das Zimmer neben der Kinderstube war gar nicht so übel. Es war geräumig, und aus den Fenstern konnte man eben noch die Bäume des St. James Parks erkennen. »Sehen Sie nur, Saunders!«, rief Helene, »so einen Blick habe ich vom ersten Stock nicht gehabt.«
»Mir gefällt es trotzdem nicht«, sagte die Zofe, die im Zimmer umherwanderte und die Möbel mit Missfallen betrachtete. »Ich verstehe nicht, warum Sie nicht im Schlafgemach der Gräfin untergebracht sind, Mylady.«
Leke hatte sich offensichtlich Mühe gegeben, das Zimmer so auszustatten, wie es einer Gräfin gebührte: Helene erkannte den schönen türkischen Teppich wieder, der früher im hinteren Salon gelegen hatte. Das Bett war zwar das Bett des Kindermädchens, aber Leke hatte eine Frisierkommode und ein paar kunterbunt zusammengewürfelte Möbelstücke aufgetrieben, um seiner Vorstellung eines Damenzimmers möglichst nahe zu kommen. Helene ließ sich auf ein Samtsofa sinken. »Im Gemach der Gräfin wohnt eine andere Dame, Saunders.«
»Eine
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