Lady Helenes skandaloeser Plan
eine Hure im Hause hielt – na und? Warum sollte sie das stören? Sie hätte den Earl von Mayne oder etliche andere Männer haben können, die ihr Komplimente gemacht hatten.
Helene stand ein wenig unsicher auf und ging auf den Kamin zu. »Ich habe dich noch gar nicht begrüßt«, sagte sie zu Rees.
»Helene«, sagte er nur. Weit davon entfernt, seine Mätresse im Arm zu halten, kritzelte er Noten auf ein Blatt und schien sich der Spannung, die im Zimmer herrschte, keineswegs bewusst zu sein.
Helene setzte sich neben Lina, wobei sie Toms flehende Gesten geflissentlich übersah. »Wir sollten vielleicht ein paar Dinge besprechen«, sagte sie und versuchte sich verzweifelt zu erinnern, welche Dinge das waren.
Linas Augen blitzten in einer schelmischen Art, die Helene an Esme erinnerte. Aber Esme war doch keine übel beleumdete Frau! Nein. Also wirklich! Wieder verlor sie den Faden ihrer Gedanken.
»Ich denke, wir sollten nun zu Tisch gehen«, sagte Tom einigermaßen verzweifelt. »Rees, warum läutest du nicht nach Leke und sagst ihm, dass wir essen wollen?«
Rees schüttelte ohne aufzublicken den Kopf. »Meine Köchin und nur sie entscheidet, wann die Hausbewohner zu Tisch gehen. Leke wird uns schon holen, wenn das Essen serviert wird.«
»Das ist ein sehr schönes Kleid, das Sie da tragen«, sagte Helene zu Miss McKenna.
Miss McKenna blinzelte verwirrt. Wahrscheinlich hat sie erwartet, dass ich empört sein würde, dachte Helene triumphierend, und weiß jetzt nicht, was sie von mir halten soll.
»Ich finde, wir sollten über Rees sprechen«, fuhr Helene fort. Der Brandy verlieh ihr ein wunderbares Gefühl der Sicherheit. »Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich ihn einmal pro Tag ausleihen.«
Tom redete mit gedämpfter Stimme auf seinen Bruder ein. Helene hörte: »Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass sie keinen Branntwein trinkt?«
»Wenn ich mich recht entsinne, würde ich nur fünf Minuten von Rees’ Zeit beanspruchen«, sagte Helene zu Miss McKenna. »Das ist übrigens wirklich ein schönes Kleid.« Es hatte einen seltsamen Orangeton, der Linas Haut einen bräunlichen Schimmer verlieh.
»Manchmal bringt er es sogar auf sieben Minuten«, sagte Miss McKenna mit einem Lachen in der Stimme. »Ich würde sagen: Im Zweifel für den Angeklagten.«
»Sieben Minuten!«, staunte Helene. »Wie schön zu erfahren, dass sich der eigene Mann im Laufe der letzten neun Jahre um zwei Minuten weiterentwickelt hat.«
»Ich mag Männer mit Ehrgeiz, Sie nicht auch?«, sagte Miss McKenna und trank einen Schluck Wein.
Plötzlich trafen sich ihre Blicke, und sie brachen in Lachen aus. Tom gab ein Geräusch von sich, als ob er sich verschluckt hätte. Rees schaute einen Moment von seinem Blatt auf und zuckte dann die Achseln.
»Es würde Ihren Tagesablauf überhaupt nicht beeinträchtigen«, versprach Helene.
»Ich möchte bezweifeln, dass es das täte«, erwiderte Miss McKenna. »Ihr Kleid ist ebenfalls sehr hübsch. Ist es von Madame Rocque?«
»Ja«, erwiderte Helene. Sie beschloss, nicht mehr zu nicken, denn es machte sie schwindelig. »Vielleicht habe ich Ihr Kleid sogar anprobiert, aber ich muss darin wie eine Vogelscheuche ausgesehen haben.«
Miss McKennas Augen hatten den lauernden Ausdruck verloren, den sie bei Helenes Eintreten gehabt hatten. Nun, da sie sich an den Anblick von Miss McKennas erstaunlicher Schönheit gewöhnt hatte, merkte Helene, dass es vielmehr die Selbstbeherrschung der jungen Frau war, die sie in Erstaunen setzte. Ihr Benehmen war beinahe damenhaft zu nennen. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde Helene auf ein beeindruckendes, wenn auch junges Mitglied der vornehmen Gesellschaft getippt haben.
»Wie geht es Ihrer Mutter, Lady Godwin?«, erkundigte sich Tom.
»Oh, es geht ihr sehr gut«, antwortete Helene mit einem ganz leichten, damenhaften Schluckauf. »Aber sagen Sie doch bitte Helene zu mir! Ich bin Ihre Schwägerin, und nach diesem Abend wird niemand mehr behaupten können, dass wir nicht miteinander auf vertrautem Fuß stehen!«
In diesem Augenblick erschien Leke. »Das Dinner ist serviert«, verkündete er niedergeschlagen. Leke hatte seinen Märtyrerstatus regelrecht genossen: Nachdem alle anderen Bediensteten geflohen waren, war er als Einziger in diesem Sündenhaus geblieben. Doch angesichts der neuen Situation überlegte selbst er, ob sein Sinn für Schicklichkeit nicht überstrapaziert wurde. Es gefiel ihm einfach nicht, wenn eine Geliebte und eine
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